Forschung

Wie Rechtsextreme und Verschwörungsideologen mit Telegram zu Protest auf der Straße aufrufen

Cover von Ausgabe Nr. 1 des Trendreports Machine Against the Rage © BAG »Gegen Hass im Netz«
Die BAG »Gegen Hass im Netz« stellt im Trendreport die Ergebnisse ihres Monitorings von Hassdynamiken im Netz vor.  |  © BAG »Gegen Hass im Netz«

Die BAG »Gegen Hass im Netz« – ein Projekt von Das NETTZ –  hat eine neue Ausgabe von Machine Against the Rage veröffentlicht: Die Analyse zeigt erstmals auf breiter Datenbasis, wie intensiv der Messengerdienst Telegram von demokratiefeindlichen Kräften genutzt wird, um Menschen etwa zu Demonstrationen gegen die Corona- oder Energiepolitik zu mobilisieren. Außerdem: Reichsbürger im Telegram-Kosmos und was die Twitter-Entwicklungen für Hass im Netz bedeuten.

»Demokratiefeindliche Proteste wie der ›Sturm‹ der Reichstagstreppen oder die quer übers Land verteilten ›Spaziergänge‹ gegen die Corona-Politik sind ohne digitale Kommunikation nicht vorstellbar«, sagt Holger Marcks von der BAG »Gegen Hass im Netz« zur neuen Analyse. »Für rechtsextreme und verschwörungsideologische Proteste spielt Telegram eine zentrale Rolle, daher haben wir die zahllosen Aufrufe mit automatisierten Verfahren untersucht«, so der Co-Leiter der Forschungsstelle weiter. Dafür wurden rund 10 Millionen Nachrichten aus 1.200 Telegram-Kanälen von April 2020 bis November 2022 ausgewertet. Insgesamt rund 95.000 digitale Nachrichten enthielten Aufrufe zum Offline-Protest. Daran wird deutlich, warum sich die digitale und analoge Welt schon lange nicht mehr trennen lassen.

»Zum Höhepunkt der Mobilisierung im Januar 2022 konnten wir fast 3.000 Protestaufrufe pro Woche auf Telegram finden: viermal mehr als der Jahresdurchschnitt«, fasst Dr. Pablo Jost von der Universität Mainz eines der Ergebnisse zusammen. Jost arbeitet eng mit der BAG »Gegen Hass im Netz« zusammen und hat diese Veröffentlichung datenanalytisch unterstützt. »Die politische Diskussion über ein Gesetz zur Impfpflicht war dabei Thema Nummer eins. Mit dem Auslaufen der Pandemie-Maßnahmen und dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine nahmen die Aufrufe wieder ab«, so der Kommunikationswissenschaftler weiter. Das Umschwenken demokratiefeindlicher Kräfte auf die Angst vor einem Blackout und steigende Energiepreise reichten nicht für größere, radikalere Proteste. Der in Politik und Medien mancherorts befürchtete »Wutwinter« blieb bisher aus – ruhig war es im demokratiefeindlichen Lager dennoch nicht.

Demokratiefeindlicher Protest verlagert sich von Großstädten in Mittel- und Kleinstädte

Die Daten geben auch einen Einblick in die regionale und ideologische Verteilung des Protests in Deutschland: Demonstrationen mit vielen Personen finden klassischerweise in Großstädten wie Berlin statt. Stuttgart etwa hat als Ort von Bürgerprotesten gegen »Stuttgart 21« und als Wiege der Querdenken-Bewegung zusätzlich einen symbolischen Charakter. Das Bundesland Sachsen weist in den Daten die mit Abstand meisten Orte auf, in denen – hauptsächlich von Rechtsextremen – zu Protesten aufgerufen wird.

Außerdem zeigt sich eine Ausbreitung des Protestgeschehens von einzelnen großen Städten hin zu vielen Orten, auch kleine und mittelgroße Städte werden vermehrt erwähnt – auf sogenannten Spaziergängen wird der Unmut gegenüber den Pandiemaßnahmen quer übers Land verteilt artikuliert. »Wenn die Regionalisierung der Proteste bestehen bleibt, stellt sich die Frage, wie Kommunalpolitiker*innen beim Umgang mit demokratiefeindlichen Bewegungen vor Ort unterstützt werden können. Viele kleine Städte haben etwa keine Polizeidienststelle, sodass die Aufmärsche ungestört stattfinden können«, sagt Nadine Brömme, Co-Geschäftsführerin von Das NETTZ, über die Bedeutung der Ergebnisse für Politik und Gesellschaft.

Wer mobilisiert

»Die von uns gefundenen Protestaufrufe stammen meist von Personen oder Gruppen, die erst seit der Corona-Pandemie aktiv sind. Häufig starteten sie als Online-Aktivist*innen mit eigenen Telegram-Kanälen, die schnell eine Followerschaft aufbauen konnten – und ihr Tun inzwischen teilweise mit Spenden aus der Szene finanzieren. Die wenigsten sind Mitglieder in festen Organisationen, Parteien oder Bewegungen«, sagt Harald Sick von der BAG »Gegen Hass im Netz« über die Personen hinter den untersuchten Telegram-Nachrichten.

Reichsbürger, Twitter und demokratiefeindliche Telegram-Trends als weitere Themen des Trendreports

Außerdem widmet sich die neue Ausgabe von Machine Against the Rage einer Bestandsaufnahme zu den Entwicklungen bei Twitter und was diese für Hass im Netz bedeuten: von der chaotischen Übernahme durch Elon Musk über die Folgen der angestoßenen Deregulierung von Hassrede bis zur wackeligen Zukunft der Plattform.

Statt Winterwut beschäftigten im Dezember 2022 die Reichsbürger die Öffentlichkeit – ein geplanter Staatsstreich konnte aufgedeckt werden und zeigte, wie gefährlich und vernetzt diese gern belächelten Akteure doch sind. Wir blicken auf unser Monitoring und verorten die Reichsbürger im demokratiefeindlichen Telegram-Kosmos.

Welche demokratiefeindlichen Kanäle besonders viele neue Abonnent*innen gewinnen konnten, welche ideologische Strömungen im demokratiefeindlichen Lager an Beliebtheit verloren haben und welche Posts auf Telegram besonders häufig geteilt wurden, können wir mit unserem Monitoring beobachten. Die wichtigsten metrischen Trends fassen wir unter der Überschrift »Die Spitze des Eisbergs« in der Rubrik Radar zusammen.

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Über die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) »Gegen Hass im Netz«

Die BAG ist ein Projekt von Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech und wird im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Robert Bosch Stiftung gefördert. Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ, des BAFzA oder anderer Förderpartner*innen dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.

 

Foto Elisabeth Weidinger
Autor*in

Elisabeth Weidinger

(sie/ihr) Leiterin Kommunikation

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