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Wie aus Daten Taten werden – Über die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Wissenschaft

Team der Bundesarbeitsgemeinschaft Gegen Hass im Netz + Überschrift + Logo der BAG
Jahrestreffen 2024 der Bundesarbeitsgemeinschaft »Gegen Hass im Netz« im November 2024  |  © Das NETTZ | Stefanie Loos

Nach vier Jahren intensiver Zusammenarbeit verabschiedet sich Das NETTZ von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) »Gegen Hass im Netz«. Wie es mit den Projekten der BAG weitergeht und wie wir die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Wissenschaft weiter stärken können, hat unsere Co-Geschäftsführerin Nadine Brömme für euch zusammengefasst. 


Vor knapp vier Jahren, inmitten der Corona-Pandemie, erreichte uns als Das NETTZ eine Anfrage, aus der sich in den vergangenen Jahren eines unserer größten und lehrreichsten Projekte entwickelte: die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) »Gegen Hass im Netz«. Wir werden das Projekt ab 2025 in der jetzigen Form aufgrund auslaufender Förderung nicht weiterführen. Das Ende der BAG nehmen wir deswegen zum Anlass, unsere Erfahrungen zu teilen, aber auch nach vorne zu blicken – denn die Arbeit geht in veränderter Form weiter.

Aber zurück zum Anfang: Wie alles begann

2021 sind wir mit dem Ziel gestartet, die zivilgesellschaftliche Praxisarbeit gegen Hass im Netz durch wissenschaftliche Daten zu unterstützen, um evidenzbasierter zu arbeiten. Die Anwendung wissenschaftlicher Daten spielt in der Praxis immer eine wichtige Rolle. Bei dem BAG-Projekt bestand die Besonderheit darin, innerhalb unserer Organisation eine nach wissenschaftlichen Standards arbeitende Forschungsstelle aufzubauen – Wissenschaft und Zivilgesellschaft unter einem Dach. 

Auf diese Weise konnten die in vielen wissenschaftlichen Kontexten etablierten, aber langwierigen Publikationszyklen anders gestaltet und effektiver umgesetzt werden, denn besonders bei der Verbreitung von Hass im Netz sind aktuelle Daten und Einschätzungen nötig. Die Trendreports der BAG unter dem Titel Machine Against the Rage erschienen deswegen drei- bis viermal im Jahr. Im Rahmen des Trendreports analysierte die BAG dafür Dynamiken von Hass im Netz sowie rechtsextremistische und demokratiefeindliche Akteursnetzwerke und stellte die Ergebnisse als Online-Magazin zur Verfügung. Grundlage für die Analysen war eine hausinterne technische Infrastruktur, die ein Echt- und Langzeitmonitoring möglich machte. 

Daten in der Praxis: Das Zivilgesellschaftliche Forum 

Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive sind datenbasierte Analysen in wissenschaftlicher Qualität und zu aktuellen Ereignissen im digitalen Raum immens wichtig, um:

  • Dynamiken von Hass im Netz besser zu verstehen
  • Missstände anhand von Fakten aufzuzeigen
  • daraufhin politische Forderungen zu formulieren
  • daraufhin die Wirkung von Praxisprojekten zu optimieren
  • Spenden für zivilgesellschaftliche Arbeit zu akquirieren.

Das Zivilgesellschaftliche Forum entstand und nutzte den regelmäßigen Austausch untereinander sowie mit der Forschungsstelle der BAG. Die eingerichtete technische Infrastruktur wurde also um eine praxisnahe Infrastruktur zivilgesellschaftlicher Organisationen ergänzt. Regelmäßig fanden digitale Stammtische und Jahrestreffen statt, in denen aktuelle Ereignisse diskutiert und Einblicke in die Use Cases gegeben wurden.

Das Zivilgesellschaftliche Forum besteht aus 21 Organisationen, die bundesweit wichtige Präventions- und Interventionsprojekte realisieren. Mit sechs von ihnen haben wir Use Cases realisiert, in die Daten und wissenschaftliche Expertise der Forschungsstelle direkt einfließen konnten. Auch über das Ende der BAG hinaus wird das Zivilgesellschaftliche Forum bestehen bleiben.

Eine bundeszentrale Infrastruktur zu Hass im Netz und Desinformation

Auch wenn die BAG in ihrer bisherigen Form nicht mehr existiert, werden wir das, was wir gelernt und erfahren haben, in unserer Arbeit in einer neuer Konstellation fortführen. Insbesondere die entstandenen Infrastrukturen gilt es, weiter auszubauen. Deshalb wandert Machine Against the Rage 2025 zum Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft – eine Organisation, die im Kontext von Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit seit vielen Jahren wertvolle Arbeit an der Schnittstelle zwischen den Sektoren Wissenschaft und Zivilgesellschaft leistet. 

Das NETTZ wiederum entwickelt das Zivilgesellschaftliche Forum weiter: Mehr Organisationen kommen dazu, neue Formate für Wissenstransfer und Vernetzung entstehen. Auch für die Entstehung und Begleitung neuer Use Cases werden wir neue Möglichkeiten konzipieren. Die Verstetigung der Strukturen geht mit dem Aufbau einer bundeszentralen Infrastruktur zu Hass im Netz und Desinformation einher, die im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! ab 2025 gefördert wird. 

Das NETTZ und das IDZ Jena werden in den nächsten Jahren mit den vier Organisationen Gesellschaft für Medienpädagogik und KommunikationskulturNeue deutsche Medienmacher*innenHateAid und Meldestelle REspect! zusammenarbeiten und aus den bisher etablierten Strukturen eine bundeszentrale Infrastruktur im Themenfeld Hass im Netz und Desinformation entwickeln. 

Was nehmen wir für die datenbasierte Praxisarbeit mit?

Für unsere Arbeit wird die Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft weiterhin von großer Bedeutung sein. Wir knüpfen an die Netzwerke in der Zivilgesellschaft und Wissenschaft an und bauen diese weiter aus. Wissenschaftliche Analysen und Daten sollen zu den Grundbausteinen unserer Praxisprojekte gehören. Um das zu schaffen, nehmen wir folgende Learnings mit:

Unterschiede für Synergien nutzen 

Wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Arbeit folgt unterschiedlichen systemischen Logiken – im Hinblick auf Erfolgsmessung, Arbeitsweisen, Themensetzung und auch Strukturen. Unterschiede anzuerkennen ist ein Schlüssel für eine gute Zusammenarbeit. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind stark in der Umsetzung, aber Projekte oft thematisch und zeitlich begrenzt. Sie sorgen vor allem für Sichtbarkeit und Anwendung von Inhalten. Die forschende Arbeit wiederum liefert akademische Erkenntnisse in hoher Qualität, für die Praxisprojekte in der Form keine Kapazität haben und sie für die Arbeit brauchen. Kommt beides zusammen, entstehen Synergien. Unterschiede frühzeitig zu benennen, macht eventuellen Mehraufwand sichtbar und erleichtert die Ressourcen- und Prozessplanung.

Dolmetschen für Daten 

Ein weiteres wichtiges Learning bezieht sich auf Moderations- und Übersetzungsleistungen. Bei der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und Sektoren sind „Übersetzungspersonen“ hilfreich. Das können Personen sein, die sich mit dem Projekt inhaltlich gut auskennen und gleichzeitig Kompetenzen in der Datenanalyse mitbringen. Regelmäßige interdisziplinäre Interpretations- und Diskussionsrunden des Projektteams können dabei helfen, falsche Interpretationen zu vermeiden oder aus den Daten (zusätzliche) Erkenntnisse abzuleiten. Auch die Ableitung politischer Handlungsempfehlungen profitiert von frühzeitiger Interpretation und Diskussion der Daten.

Mut und Raum für interaktive Formate 

Zahlreiche wissenschaftliche Outputs fließen oft nicht in zivilgesellschaftliche Projekte ein, weil das Sprachrohr fehlt. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden vor allem über Fachpublikationen sichtbar. Zivilgesellschaftlichen Projekten fehlt dagegen häufig die Zeit, um Überblick über thematisch relevante Forschungsergebnisse zu erlangen. Wir haben es mit unterschiedlichen Kommunikationsräumen zu tun. Mit dem Online-Magazin Machine Against the Rage, Use Cases, Workshops und ko-kreativen Methoden haben wir Zugänge zu Inhalten und den Austausch darüber niedrigschwelliger gestaltet. Diese Räume für interaktive Formate haben sich bewährt.

Hinweis

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Civic Tech: Tech-Kompetenzen in der Zivilgesellschaft fördern 

Um technologie- und datengetriebene Praxisprojekte umzusetzen, müssen in der Zivilgesellschaft mehr Kompetenzen zur Analyse und Interpretation von Daten aufgebaut werden. Das ist bereits bei der Konzeption eines Projektes, z. B. für Forschungsfragen und Forschungsdesigns, wichtig. Auch bedarf es zukünftig mehr Tech-Kompetenzen im Hinblick auf KI-Anwendungen. Für viele zivilgesellschaftliche Organisationen ist das oft eine Ressourcenfrage. Angebote wie die Datendialoge oder Intensivkurse der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit CorrelAid sind hierbei hilfreich. 

Data-come-to-life-cycle als Teil der Projektplanung 

Was soll untersucht werden? Welche Daten sind nötig? Wie können Daten in die Anwendung kommen? Bereits in der Konzeptionsphase kann mit wissenschaftlichen Partner*innen definiert werden, welche Daten für das Projekt dienlich sind und wie sie erhoben werden. Hilfreich ist auch die frühzeitige Eingrenzung dessen, was möglich ist. Darauf aufbauend kann ein gemeinsamer Projekt- und Meilensteinplan entwickelt werden. Dieser sollte alle Kompetenzen rechtzeitig berücksichtigen, die für die Zielerreichung nötig sind, z. B. auch ausreichend Zeit für Advocacy- und Öffentlichkeitsarbeit.

Interdisziplinarität als Chance: Seid ihr dabei?

Als Das NETTZ wünschen uns zukünftige Projekte, in denen bereits in der Konzeptionsphase interdisziplinär und transsektoral gearbeitet wird. Eine realistische Ressourcen- und Zeitplanung unter Einbeziehung der hier beschriebenen Erfahrungen kann dazu beitragen, eine größere Wirkung zu erzielen. Dafür arbeiten wir mit Partner*innen aus unserem Netzwerk in der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft. 

Lasst uns zusammenarbeiten

Wenn ihr diesen Beitrag gelesen und Fragen habt oder euch dazu austauschen möchtet, kommt auf uns zu! Vielleicht habt ihr ja auch schon den nächsten Use Case parat?

Als zivilgesellschaftliche Organisation finanzieren wir unsere Arbeit über Spenden und Förderungen. Wenn du uns unterstützen möchtest, freuen wir uns über deine Spende!

Wir danken dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Robert Bosch Stiftung für die Förderung, der Otto Brenner Stiftung für die Zusammenarbeit. 

Foto Nadine Brömme
Autor*in

Nadine Brömme

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin

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