Portrait Open History - Historiker*innen gegen Hass
GeschichtsCheck ist ein Projekt von Open History e.V., dem Verein für eine aktive und öffentliche Geschichtswissenschaft. Die “Historiker*innen gegen Hass” kamen 2019 unter die Finalist*innen des NETTZ-Förderwettbewerbs und erhielten - bestätigt von allen Teilnehmenden - den Zuschlag und damit den Förderpreis.
Die bei Open History engagierten Historiker*innen glauben, dass auch die Vergangenheit ein Schlüssel zur Überwindung hasserfüllten Denkens sein kann. Denn Geschichte – also das Bild, das wir uns von dieser Vergangenheit machen – sagt uns nicht nur, wie wir zu dem wurden, was wir sind. Sie sagt uns auch, was wir nicht mehr sind. Und sie wird zu oft von Menschen verfälscht, umgedeutet oder erfunden, um als Argument für gegenwärtige politische Forderungen oder Äußerungen zu dienen.
Gespräch mit Jan Kleinmanns, Historiker bei Open History e.V.
Ihr beschäftigt euch mit Legendenbildung. Wir haben davon gerade mehr als genug. Was empfehlt ihr bei der Ansprache von Verschwörungsgläubigen? Fakten alleine scheinen nicht zu reichen.
Es gibt definitiv einen Punkt, an dem der Glaube an die Verschwörungstheorie derart stark geworden ist, dass Fakten nicht mehr ausreichen. An diesen Punkt wollen wir die Diskussion aber gar nicht kommen lassen: Uns geht es darum, dass wir früh ins Gespräch kommen, Annahmen, die nachweislich falsch sind, richtig stellen und Angriffe auf Fakten abwehren, indem wir erklären, woher sie stammen.
Was wir dabei allgemein empfehlen: sachlich und höflich bleiben, sonst ist die Diskussion
vergiftet. Es ist zudem wichtig, sich nicht in Nebendiskussionen verstricken zu lassen,
sondern darauf zu bestehen, dass die zuerst angesprochenen Streitfragen geklärt werden,
bevor man an den nächsten ‘Schauplatz’ wechselt. ‘Whataboutism’ ist schließlich eine
beliebte rhetorische Figur, um der Diskussion zu entfliehen. Damit soll keiner durchkommen.
Ihr habt einen Geschichts-Werkzeugkasten entwickelt. Mit wem arbeitet ihr
zusammen? Ihr möchtet historische Medienkompetenz fördern, wie gelingt das am
besten?
Wir sind ein Team von Historiker*innen, Archäolog*innen und Pädagog*innen. Durch unsere tägliche Arbeit außerhalb dieses Projekts haben wir Kontakt zu zahlreichen Institutionen wie Universitäten und Museen. Deshalb sind wir in die jeweiligen Themengebiete und die Mythen, die darum gesponnen werden, sehr gut eingearbeitet.
Aus diesem Grund wissen wir auch, dass Medienkompetenz und ein kompetenter Umgang mit Geschichte sehr nahe beieinander liegen. Es geht darum, in einem Grundgerüst aus Fakten zu navigieren, Erzählungen zu hinterfragen und seine eigene Position dazu zu artikulieren. Das kann wunderbar an Sachverhalten eingeübt werden, in denen es auf der einen Seite eine gesicherte fachwissenschaftliche Faktenlage und auf der anderen Seite klare Fehlinformationen gibt. Das haben wir in unseren Workshops vermittelt und denken, dass dies ein guter Zugang für die Schulung von Medienkompetenz ist.
Eignen sich die sozialen Medien überhaupt für einen kritischen Austausch zu
wichtigen historischen Themen?
Sicher sind soziale Medien nicht der ideale Ort für eine Debatte – egal ob bei geschichtsbezogenen Themen oder in anderen Bereichen. Fakt ist aber, dass die Diskussionen trotzdem dort stattfinden – und dabei ist es völlig egal, ob wir das toll finden.
Wir tun also gut daran, wenn wir uns als Wissenschaftler*innen an diesen Debatten beteiligen und uns auch als solche zu erkennen geben. Das ist unseres Erachtens auch eine Aufgabe, die wir als Wissenschaftler*innen in unserer Gesellschaft haben. Dabei ist es eigentlich unerheblich, dass es bessere Rahmenbedingungen geben kann, als die, die in der Kommentarspalte von YouTube vorherrschen. Wir haben überhaupt nichts davon, wenn wir uns einerseits in unserem Elfenbeinturm verschanzen und uns dann andererseits darüber beschweren, dass uns niemand zuhört.
Was sind die größten Herausforderungen bei eurer Arbeit?
Wir sind es gewöhnt, fachwissenschaftlich zu argumentieren: Das ist oftmals sehr kleinteilig, man holt weit aus und zeigt dann an mehreren Beispielen eine begründete Tendenz auf. Solch ein Vorgehen taugt bei der Auseinandersetzung im Internet nicht. Sowas fällt in die Kategorie „tl;dr“ und verstößt gegen die unausgesprochene Etikette der Internetdiskussion. Sich darauf einzustellen, fordert schon. Zugleich tut das aber eben auch gut, denn es geht um den Kern von Wissenschaft: Fakten. Außerdem haben nicht alle Teammitglieder Erfahrung mit dem Unterricht von Schüler*innen gehabt – deshalb haben einige von uns bei den Schulworkshops viele neue Erfahrungen sammeln können. Das war herausfordernd und spannend zugleich.
Ihr wart unter den Gewinner*innen des NETTZ-Förderpreises, was hat das für euch verändert?
Weil das NETTZ uns gefördert hat, konnten wir uns nach längerer Zeit mal wieder persönlich zusammensetzen und über die Weiterentwicklung des Projekts sprechen. Das klingt wenig spektakulär, ist für die Arbeit aber sehr, sehr wichtig gewesen. Wir kommen aus allen Ecken Deutschlands und laufen uns daher nicht regelmäßig über den Weg. Viel der Kommunikation konnten wir online stattfinden lassen; dass das NETTZ uns ermöglicht hat, wieder in einen Austausch vis-à-vis zu treten, war großartig. Dafür sind wir sehr dankbar. Zudem haben wir während unseres Testworkshops durchweg positives Feedback bekommen, was uns darin bestärkt hat, dass unser Projekt wichtig ist.
Was war eure spannendste Lernerfahrung?
Wie bereits gesagt: Nicht alle Teammitglieder hatten Erfahrungen mit diesem Format. Wir haben uns zwar gut abgesprochen und Konzepte für unsere Schulworkshops erarbeitet; ob das aber genau auf diese Weise auch in der Praxis funktionieren würde, „stand auf einem anderen Blatt“. Nach den Workshops waren wir aber ganz begeistert: Obwohl immer mehr am Unterrichtsfach Geschichte „gesägt“ wird, ist ganz, ganz viel Interesse an historischen Themen vorhanden. Für uns, von denen sich viele für „Geschichte als Beruf“ entschieden haben, waren das großartige Erfahrungen. Das galt insbesondere, wenn die Schüler*innen mit unserer Hilfe an einen Punkt gelangt sind, den sie selbst nicht für möglich gehalten haben.
Ähnlich verhält es sich mit den Erfahrungen am „Lernort Internet“. Zu sehen, dass andere der eigenen Argumentation folgen und auf diese Weise eine vergiftete Kommentarspalte wieder „retten“ können, war toll zu sehen und hatten wir nicht unbedingt erwartet. Sowas zeigt, dass Projekte wie GeschichtsCheck wirken.
Wie kann man sich bei Euch einbringen? Sucht ihr Unterstützung?
Wir gehören alle dem Verein „Open History“, dessen Projekt GeschichtsCheck ist, an. Im Verein haben wir uns das Ziel gesetzt hat, verschiedene Formen des Austauschs zwischen Wissenschaftler*innen und einer interessierten Öffentlichkeit zu fördern. Wir glauben, Historiker*innen und andere, die mit Geschichte arbeiten, sollten nicht nur unter sich in bestimmten spezialisierten Fachkreisen forschen, lehren und „netzwerken“, sondern genauso die Kommunikation mit der Öffentlichkeit wagen und damit Geschichte und deren Vermittlung für alle aktiv gestalten. Wir stellen etablierte Hierarchien der Wissenschaft in Frage und leben Kommunikation auf Augenhöhe – epochen-, alters- und geschlechtsübergreifend. Wer sich in der Beschreibung wiederfindet, ist herzlich eingeladen mitzumachen! Wer sich „nur“ bei GeschichtsCheck engagieren möchte, kann sich selbstredend auch gerne bei uns melden – wir freuen uns!
Hanna Gleiß
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin