Portrait Kleiner 5, Gewinner Förderprogramm 2021
Euch gibt es ja schon länger. Ihr habt bisher zu Rechtspopulismus gearbeitet: wie man ihn erkennt und gegen ihn argumentiert. Ein Handbuch und viele Workshops später greift ihr nun Verschwörungsmythen auf. Wie kommt es dazu?
Im Rahmen unserer Workshops erleben wir seit einiger Zeit, dass sich Teilnehmende vermehrt auch mit Fragen zum Umgang mit Verschwörungmythen in ihrem Umfeld an uns wenden. Verschwörungsmythen sind Teil rechter Ideologie und werden als Strategie gezielt eingesetzt, um Hass gegen Minderheiten zu schüren und ein Szenario der Bedrohung zu schaffen. Mit diesem Bedrohungsszenario schüren die Agitator*innen bewusst Ängste. Menschen, die Angst haben, lassen sich leicht(er) gegen demokratische Strukturen mobilisieren. Durch ein vermeintliches Bedrohungsszenario glauben sie, dass sie sich verteidigen müssten und legitimieren Gewalt. Wir möchten mit diesem Projekt Menschen darin unterstützen, gegen Verschwörungsmythen aktiv zu werden.
Wir möchten mit diesem Projekt Menschen darin unterstützen, gegen Verschwörungsmythen aktiv zu werden.
Was sind die konkreten Ziele von "Verschwörungsmythen radikal höflich begegnen"?
Unser vordergründiges Ziel ist, Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, nicht an die Verschwörungserzählungen zu verlieren. In unserer Arbeit und auch privat kommen wir mit vielen Verschwörungsmythen in Kontakt, teilweise verbreiten Einzelne diese Mythen gezielt. Einige dieser Menschen haben sich auf der Suche nach Unterstützung immer wieder von ihrem Umfeld und auch der Politik (und dem Gesundheitssystem) im Stich gelassen gefühlt. Sie sehen sich und ihr Handeln nicht als wirksam an und meinen, in Verschwörungserzählungen Antworten auf ihre Fragen zu finden
Bei diesen Personen und Gruppen lohnt es sich genauer hinzuschauen und nach den Hintergründen für ihre Ängste und ihren Unmut zu fragen. Das geht natürlich am besten, wenn eine Beziehung tragfähig, also von Respekt, Wertschätzung und Offenheit geprägt ist. Mit unserer Kommunikationsstrategie der radikalen Höflichkeit fordern wir Menschen auf, auf Augenhöhe in Kontakt zu treten und Beziehung zu schaffen.
Dabei ist es essentiell, dass sich beide Seiten gegenseitig richtig zuhören können und sich Zeit nehmen für ihr Gespräch. Manchmal ist es auch sinnvoll, sich die alternativen Fakten zeigen zu lassen und die Aussagen anschließend gemeinsam zu überprüfen. Sicher wird ein Gespräch in den wenigsten Fällen dazu führen, dass Menschen direkt das Geglaubte verwerfen, aber es können Impulse gesetzt werden, die zum Nachdenken anregen. Alles total radikal höflich natürlich. Wir beginnen wie immer im engsten Kreis und befähigen unsere Community, sich selbst souverän im Umgang mit Verschwörungsgläubigen zu fühlen. Wir stellen fest, dass Menschen vor allem mit Unverständnis reagieren, einige auch mit Hohn. Viele sind auch unsicher, wie sie mit den Verschwörungsgläubigen umgehen sollen. Aus dieser Position heraus ist ein Gespräch auf Augenhöhe schwer möglich. Uns interessiert, wie es möglich ist, in diesen Fällen die Brücke zu schlagen.
Mit unserer Kommunikationsstrategie der radikalen Höflichkeit fordern wir Menschen auf, auf Augenhöhe in Kontakt zu treten und Beziehung zu schaffen.
Dabei ist es essentiell, dass sich beide Seiten gegenseitig richtig zuhören können und sich Zeit nehmen für ihr Gespräch.
Das klingt nach viel Arbeit. Wie wollt ihr eure Ziele erreichen?
Durch die vielen verschiedenen Aspekte des Projekts versuchen wir das Thema sozusagen ganzheitlich anzugehen. In den Talks, die wir zu Beginn des Projektes durchführen, sollen die Teilnehmenden ihre Erfahrungen einbringen können und sich durch Austausch mit anderen Betroffenen empowern. Hier wird ein*e Expert*in jeweils die Talks begleiten und Hintergrundwissen vermitteln. Wer es nicht zu den Talks schafft und aber gerne ins Thema einsteigen möchte, kann durch unsere Videos einen schnellen Überblick gewinnen und sich bei Interesse durch die Leitfäden fundierte und tiefergehende Erkenntnisse anlesen. In unserem Online-Spiel “Talk to Me” kann dann der Umgang mit schwierigen Situationen interaktiv und spielerisch geübt werden, sodass die User*innen gestärkter bzw. vorbereitet in die nächste Situation gehen können. Zum Schluss entwerfen wir aus unseren gesammelten Erkenntnissen ein Workshop-Modul, das wir anderen Vereinen, Institutionen, Initiativen oder auch einzelnen Aktiven etc. anbieten können, damit diese ebenfalls den Austausch in ihrer Umgebung fördern. Da wir die meisten Teile des Projekts interaktiv gestalten, hoffen wir auf großes Interesse und nachhaltige Erkenntnisse. Wenn es uns gelingt durch unsere Arbeit Menschen darin zu bestärken, durch das Ansprechen und Benennen problematischer Verschwörungserzählungen Haltung zu zeigen und rote Linien zu markieren, haben wir eine Menge erreicht.
Wenn es uns gelingt durch unsere Arbeit Menschen darin zu bestärken, durch das Ansprechen und Benennen problematischer Verschwörungserzählungen Haltung zu zeigen und rote Linien zu markieren, haben wir eine Menge erreicht.
Woher zieht ihr euer Wissen?
Das NETTZ- Förderkonzept sieht ja vor, dass wir das Projekt im Prozess entwickeln. Wir haben zwar ein recht gutes Verständnis davon, was Verschwörungsmythen sind. Wir sind im Prozess aber auch noch Lernende. Das Projekt sieht so aus, dass wir zunächst einmal Expert*innen zu Online-Talks einladen, in denen wir einen Safe Space und Raum zum Austausch über schwierige Gesprächssituationen mit Angehörigen und/oder Freund*innen und Bekannten schaffen wollen. Die Teilnehmenden sollen ihre individuellen Fragen an die Expert*innen stellen können. Die Talks analysieren wir jeweils genau, um daraus Schritt für Schritt Leitfäden und Strategien zum Empowerment abzuleiten. Letztendlich sollen die Tipps und Ausführungen der Expert*innen Grundlage für unser Train-the-Trainer-Programm werden. Das heißt, nachdem unsere Talkreihe abgeschlossen ist, setzen wir uns mit unseren Workshop-Leiter*innen zusammen und entwickeln aus den Tipps, die wir von Expert*innen und Teilnehmenden (die teils unfreiwillig durch ihren Umgang mit Verschwörungsgläubigen selbst Expert*innen geworden sind, sowie den Informationen, die die Expert*innen mit ihrem jeweils spezifischen Fokus zu Verschwörungsmythen vermittelt haben, ein Workshop-Modul. Dieses soll ermöglichen, Leuten, Gesprächsgruppen einfach anzuleiten und in ihrem Umfeld in den Austausch mit anderen Betroffenen zu gehen.
Ihr seid unter den Gewinner*innen unseres diesjährigen Förderpreises. Wie genau hilft euch die Förderung eure Pläne umzusetzen?
Die Förderung durch Das NETTZ hilft uns in allen Bereichen, das Projekt umzusetzen. Durch die finanzielle Unterstützung können wir Expert*innen anfragen, die unsere Talks begleiten. Wir konnten vereinsintern eine Stelle zur Koordination des Projektes besetzen, welche sich nun drei unserer Aktiven teilen. Dazu kommen Kosten für die Videos und für die Entwicklung des Workshop-Moduls. Das NETTZ unterstützt uns zusätzlich mit Coachings, z.B. zu Projektmanagement und bei der Vernetzung mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. z.B. wurden wir mit Modus|Zad in Kontakt gebracht und konnten von unserem Programm und unseren Erfahrungen bei einer Veranstaltung berichten.
Das freut uns sehr! Was sind eure nächsten Schritte?
Im Moment sind vor vor allem mit der Talkreihe beschäftigt. Zu jedem Talk veröffentlichen wir übrigens im Nachgang einen kurzen Blogpost. Wir nehmen mit den Expert*innen, die wir zu den Talks einladen, kurze Videos auf, die wir alle gesammelt veröffentlichen werden, wenn die Talkreihe beendet ist. Nach jedem der Talks, die sich etwas an Selbsthilfegruppenrunden anlehnen, setzen wir uns zusammen und überlegen uns, was am Aufbau der Gesprächsrunde verbessert werden kann. Das heißt auch, keiner der Talks läuft nach dem gleichen Schema ab. Wir testen unterschiedliche Abläufe. Aus diesen Erfahrungen heraus entwickeln wir quasi nebenbei ein Workshop-Modul, in dem es keine Expert*innen und K5-Moderator*innen mehr braucht und bieten dieses Modul später in einem Train-the-Trainer-Programm an. Außerdem werden wir nach abgeschlossener Talkreihe Leitfäden entwickeln. Parallel haben wir begonnen, das Online-Spiel Talk To Me in unser Projekt einzubinden. Wir überarbeiten die bisherigen Inhalte und entwickeln das Spiel in einem größeren Team weiter.
Das klingt wirklich spannend! Wie kann man euch unterstützen?
Das oben genannte Online-Spiel war nicht Teil des Antrages beim NETTZ. Die Weiterentwicklung des Games ist aber finanziell noch aufwändiger als alle anderen Komponenten des Projektes. Kleiner Fünf wird in diesem Jahr auch die Landtagswahlen mit Kampagnen begleiten. Damit wir die Vereinskasse nicht zu sehr belasten, haben wir eine eigene Spendenkampagne für den Relaunch des Spiels gestartet. Dort kann man uns sehr gut finanziell helfen.Unterstützen kann man uns sonst aber auch auf vielen anderen Wegen. Wir freuen uns immer über neue Gesichter und neue Ideen im Verein, die uns wieder ein Stück weiter bringen, sei es im Community-Management, der Öffentlichkeitsarbeit, im Fundraising, bei Workshops. Ansonsten freuen wir uns natürlich, wenn wir weiterempfohlen werden oder unsere (Hör-)Bücher oder unser Spiel gekauft werden. Und unsere Aktivitäten auf Social Media können gern befeuert werden, indem unsere Beiträge geteilt und geliked werden. Und was ganz wichtig ist: Radikal höflich widersprechen und Haltung beziehen, wenn menschenfeindliche Äußerungen getätigt werden. Damit wird nicht nur Kleiner Fünf/Tadel verpflichtet! e.V. unterstützt, sondern die demokratische Debattenkultur gefördert und gestärkt.
Möchtet Ihr sonst noch etwas loswerden?
Wir freuen uns natürlich sehr, wenn viele Leute an unseren Talks und Workshops teilnehmen oder das Spiel supporten und ihren Freund*innen davon erzählen. So können wir die Welt Stück für Stück ein klein bisschen radikal höflicher gestalten.