Neuer Trendreport: Für eine differenzierte Debatte über Querfronttendenzen
Datenbasierte Analysen zur Querfront- und Kriegsdebatte
Die heute veröffentlichte Ausgabe des BAG-Trendreports Machine Against the Rage thematisiert die polarisierenden Debatten zum Umgang der Bundesregierung mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Forscher widmen sich dabei auch der Frage, inwiefern die These einer sich formierenden Querfront Bestand hat. Hierzu wird auf breiter Datenbasis und aus historischer Sicht untersucht, was die Perspektiven einer ideologischen und organisatorischen Synthese von linken und rechten Kräften sind. Die Forscher kommen zum Ergebnis, dass sich das Verständnis von »Querfront« stark ausgedehnt hat. Während es vermessen ist, von einer Querfront zu sprechen, gibt es aber durchaus eine verbreitete Querfrontmentalität, die sich auch aus den Querverbindungen digitaler Kommunikation speist. Selbst erklärten Querfront-Akteuren fehlt es (bislang) an einer ideologischen und organisatorischen Grundlage.
Um die mediale Debatte einer aufkommenden Querfront linker und rechter Akteure im Kontext der Mobilisierungen für Frieden in der Ukraine einschätzen zu können, haben die Forscher der BAG die digitalen Debatten zum Thema analysiert und historisch kontextualisiert. Hierfür wurden rund 146.000 Tweets von 37.600 Nutzer*innen im Zeitraum von Mai 2007 bis März 2023 zum Thema »Querfront« und Telegram-Daten von über 3.000 deutschsprachigen Kanälen aus demokratiefeindlichen Milieus ausgewertet, die durch ein systematisches Monitoring der Forschungsstelle der BAG gesichert werden.
Mobilisierungsaufrufe für »Friedensdemo« aus dem rechten Lager eher verhalten
»Auf Twitter beobachten wir eine völlig diffuse Verwendung des Querfront-Begriffs. Was vielen Posts jedoch gemein ist, ist die Diskreditierung des gegnerischen Lagers mit diesem Begriff«, sagt BAG-Netzwerkforscher Harald Sick. Insbesondere von linker Seite wird der Vorwurf, Teil einer Querfront zu sein, deutlich zurückgewiesen. Hingegen gibt es nur wenige Akteure – insbesondere aus dem rechten Lager –, die die Perspektiven einer politischen Querfront strategisch vorantreiben. Allerdings zeigt sich in der Analyse zweier Fallstudien, dass diese Akteure eher dem medialen Hype folgen, als dass sich feste Strukturen ausbilden, die linke und rechte Kräfte vereinen.
Weiterhin beschäftigten sich die Forscher mit der Mobilisierung zur Demonstration am 25. Februar 2023, die Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert hatten. In der medialen Debatte entstand der Eindruck, dass sich hier eine Querfront manifestiere. Auch in den Twitter-Daten der BAG ist das Lager um Sahra Wagenknecht nah am rechten Rand positioniert. Allerdings stützen die Monitoringdaten zu Protestaufrufen die enge Verbindung nicht. Zwar riefen vereinzelte Gruppen vom rechten Rand zur Teilnahme an der Demonstration auf. Dass hier allerdings massenhaft für eine Querfront mobilisiert wurde, war nicht der Fall. Zentrale Akteure der extremen Rechten ignorierten das Event gänzlich. Ein ganz anderes Bild zeigte sich im Kontrast dazu bei einer »Friedensdemonstration« in Ramstein am darauffolgenden Tag, wo eine deutlich rechtsextreme Schlagseite zu erkennen ist.
Ein historisch informiertes Verständnis des Querfront-Begriffs
In ihrer Analyse warnen die Forscher vor einer zu starken Beliebigkeit in der Verwendung des Querfront-Konzepts. »Eine Verwässerung des Querfront-Begriffs, der eng mit der Entwicklung des deutschen Nationalsozialismus verbunden ist, ist weder normativ noch analytisch wünschenswert«, sagt der Sozialwissenschaftler und Co-Leiter der Forschungsstelle Holger Marcks. Dennoch finde sich auch bei einer Orientierung am historischen Phänomen Parallelen, die es zu berücksichtigen gilt: »Die lagerübergreifende Orientierung an Russland im Streben nach einer antiliberalen, antiwestlichen Allianz in einem angenommenen internationalen Systemkonflikt ist ein wiederkehrendes Muster, das eine Querfrontmentalität schafft«, so Marcks.
Die verwischenden Grenzen zwischen politischen Lagern tragen zu einer Unübersichtlichkeit im politischen Spektrum bei, das neue Allianzen insbesondere über digitale Vernetzungen entstehen lässt. Allerdings sollten diese fragilen Bünde mit Zurückhaltung kommentiert werden. »Wenn unreflektiert viel von Querfront geredet wird, können sich echte Querfrontler im Aufwind wähnen und auf Interessierte attraktiver wirken«, sagt Nadine Brömme über die Bedeutung der Ergebnisse für Politik und Medien. Sie ist Co-Geschäftsführerin bei Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech und Träger der vom Familienministerium und der Robert Bosch Stiftung geförderten Bundesarbeitsgemeinschaft »Gegen Hass im Netz«.
Analytische Einordnung der emotional geführten Debatte um Krieg und Frieden
Außerdem widmet sich die neue Ausgabe von Machine Against the Rage den moralischen Vorwürfen in der emotional geführten Debatte über den Krieg in der Ukraine. Ausgehend von einer Analyse der Erregungswelle rund um den Hashtag #KlamrothLügt, wird hier erläutert, wie Hass und Verachtung in der Debatte sich Bahn brachen. Die Forscher arbeiten gemeinsam mit der Friedensforscherin Prof. Dr. Nicole Deitelhoff heraus, dass die Lagerbildung dadurch verstärkt wird, dass die Grundannahmen der Gegenseite oft willentlich ignoriert werden, was einen verständigungsorientierten Diskurs unmöglich macht.
Darüber hinaus präsentiert das Forschungsteam die neuesten Erkenntnisse aus dem hauseigenen Monitoring demokratiefeindlicher Proteste auf Telegram, die auch Eingang in das Dashboard finden, das sich insbesondere an Zivilgesellschaft und Medien richtet. Die wichtigsten metrischen Trends fassen wir unter der Überschrift »Die Spitze des Eisbergs« in der Rubrik Radar zusammen.
Zur ausführlichen Version des Trendreports geht es hier.
Nadine Brömme
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin