#NetzohneGewalt
Digitale Gewalt und Hate Speech: Unsere Forderungen
Frauen, insbesondere Frauen of Color und Transpersonen sind in besonderem Maße von digitaler Gewalt und Hate Speech im Netz betroffen. Mit einer Gruppe von Politikerinnen und Netzaktivistinnen haben wir deshalb im September 2019 einen Aufruf mit konkreten Forderungen veröffentlicht. Wie kam es dazu? Was haben wir bisher erreicht und was für Schritte sind in Zukunft geplant?
Frauenrechte sind Menschenrechte
Als ich den Beitrag am 8. März geschrieben habe, war der Frauentag in Berlin zum ersten Mal Feiertag. Trotz Corona-Virus waren überall auf der Welt Tausende auf den Straßen für gleiche Rechte und gegen misogyne Gewalt.
Mit 12000 Teilnehmenden war die Demo unter dem Motto "FRAUEN*KAMPFTAG" in Berlin vermutlich für eine Weile die letzte dieser Größe. Ich hatte den Blogpost ursprünglich so begonnen:
Digitale Gewalt bedroht die Meinungsfreiheit
Du willst in den sozialen Medien Aufmerksamkeit? Dann setze einen feministischen Beitrag ab und du wirst nicht lange warten müssen. Kaum ein Thema beschert dir so sicher Aufmerksamkeit und Reichweite. Es scheint User zu geben, die den ganzen Tag das Netz nach Gender-Schlagworten scannen und sofort anfangen zu pöbeln. Oft bleibt es nicht dabei. Übelste Beschimpfungen münden gar nicht so selten in Vergewaltigungsfantasien und Morddrohungen. Immer mehr politisch aktive Frauen werfen das Handtuch und setzen sich der Gefahr verständlicherweise nicht aus. Häufig nennen sie “persönliche Gründe” als Motive für ihren Rückzug. Allzu oft machen sie diesen Schritt, weil ihnen ihr Wohl und das ihrer Familie am Herzen liegt.
"Viele ziehen sich aus digitalen Räumen zurück, weil sie die Anfeindungen nicht mehr ertragen. Und wenn das passiert, überlassen wir diese Räume den Menschen, die Hass produzieren. Es braucht Mechanismen, um diese Gewalt zu sanktionieren. Es muss zu Verurteilungen kommen. Und man muss es als Gewalt wahrnehmen, nicht als Kleinigkeit." stellt #NetzohneGewalt-Unterzeichnerin Amina Yousaf, SPD im Interview mit jetzt.de fest.
Verbale Beschimpfungen und Drohungen auf Twitter & Co sind dabei der offensichtliche Teil der unerträglichen Situation. Aber nicht immer findet digitale Gewalt sichtbar in sozialen Medien statt. Die digitale Transformation erzeugt mannigfache Auswüchse perfider Gewalt gegen Frauen.
Dann begann der Corona-Virus die Welt auf den Kopf zu stellen, der Beitrag blieb 10 Tage liegen und seitdem verhallt womöglich sogar ein feministischer Tweet, wenn nicht zumindest der Hashtag #Covid19 darin auftaucht. Wären wir nicht im Ausnahmezustand, würde ich morgen mit meinen beiden NETTZ-Kolleginnen bei der Konferenz „Digitale Gewalt bekämpfen“ für unseren Aufruf aktiv sein. Aber halt! Auch wenn die Welt Kopf steht: eins nach dem anderen.
Ein Katalog von Forderungen entsteht
Etwa die Hälfte der Menschen (auch die sich in digitalen Räumen aufhalten) ist weiblich. Trotzdem ist augenscheinlich nicht allzu relevant, dass für Frauen Digitalisierung stets mit vielen neuen Gefahren und Bedrohungen verbunden ist. Weil dieses Thema nicht ernst genug genommen wird, fehlt es an aktuellen Studien, die faktisch nachweisen, dass Handlungsbedarf besteht. Es gibt nicht genug Beratung für Betroffene. Polizei und Staatsanwaltschaften sind unzureichend vorbereitet.
Weil das Verhältnisse sind, die wir nicht ertragen und tolerieren können, haben wir uns auf Initiative der Aktivistin Anne Wizorek und der Grünen-Politikerin Renate Künast in einer Runde von Frauen aus unterschiedlichen Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen innerhalb des letzten Jahres immer wieder zusammengesetzt. Wir trugen eine Reihe an Forderungen zusammen, die politische Entscheidungsträger*innen dazu veranlassen sollen, die negativen Entwicklungen zu stoppen. An Bord waren von zivilgesellschaftlicher Seite u.a. der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V., HateAid, No Hate Speech Movement.
Neue Blickwinkel auf unserem #CE19
Um unsere Runde um Perspektiven zu erweitern, luden wir beim Community Event im Juni 2019 Teilnehmende der Konferenz ein, den Entwurf unserer Forderungen zu lesen und mit uns zu diskutieren. Das Interesse war stark. Wertvolle Kommentare bereicherten unsere Arbeit.
Zeitgleich mit der Vorbereitung des gemeinsamen Aufrufs kam Bewegung in eine Angelegenheit von Renate Künast, die gegen ihre Beleidiger vor Gericht ging. Unfassbarerweise wurde ihre Klage in einem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. September 2019 in allen Punkten abgewiesen. Ein Aufschrei ging durch die Medien, als bekannt wurde, was in einem deutschen Gericht für hanebüchene Entscheidungen gefällt wurden.
Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
(1) Die in ein Bild von Starwars eingefügte Äußerung "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!" ist eine sicherlich geschmacklose Kritik, die mit dem Stimittel der Polemitik sachliche Kritik übt. Es geht dem Äußernden erkennbar nicht darum, die Antragstellerin als Person zu diffamieren, sondern an der von ihr getätigten Äußerung Kritik zu üben. Es liegt daher keine Beledigung nach § 185 StGB vor. Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht.
Wir launchen #NetzohneGewalt
Damit wurde noch einmal deutlich, wie notwendig unsere Forderungen sind. Wir entschieden die durch den Fall Künast entstandene große Medienresonanz für unsere Thematik zu nutzen und starteten den Aufruf #NetzohneGewalt früher als geplant. Wahrgenommen wurden unser Appell von netzpolitik.org, ZDF, Süddeutsche Zeitung, Zeit u.v.a.
Kaum war die Webseite online, stand übrigens auch schon eine Fake-Domain im Netz, die unsere Forderungen ins Lächerliche zu ziehen versucht.
#WebWithoutViolence – dem Aufruf eine (internationale) Bühne geben
Unterdessen liefen unsere Vorbereitungen für das Internet Governance Forum (IGF) in Berlin auf Hochtouren. Ca. 3.000 Besucher*innen aus der ganzen Welt wurden erwartet. Der erste Tag des Events fiel auf den 25.11., den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Ganz klar, dass wir unseren Aufruf auf die Agenda stellen würden.
Wir hatten zum Auftakt des Projektes IGF-Navigator zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen aus dem digital-sozialen Sektor im Vorfeld befragt, welche Positionen aus dem Nicht-Regierungs-/Non-Profit-Bereich aus ihrer Sicht bei einer solchen Veranstaltung verhandelt werden müßten. Letztendlich stellte sich heraus, dass es Genderthemen so gut wie nicht ins Programm geschafft hatten. Damit wurde umso deutlicher, wie wichtig es wäre, unseren frisch veröffentlichten Aufruf mit den internationalen Teilnehmer*innen zu diskutieren. Wir luden dazu Expert*innen ein, die sich mit den Gästen der Konferenz austauschten – Leena Simon vom Anti-Stalking-Projekt, Digital Strategin Simone Orgel und Lorina Whittaker von HateAid.
Für die Session beim UN-IGF und die am selben Tag stattfindende Konferenz „#MyDigitalWomenRights und die Istanbul-Konvention“ des Dachverbandes der Migrant*innenorganisationen DaMigra übersetzten wir den Aufruf in die englische und türkische Sprache.
Auch unseren Vortrag bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden im Dezember 2019 sowie das von uns organisierte Parlamentarische Frühstück im Februar 2020 nutzten wir, um unseren Appell prominent zu machen.
Parteien setzen Forderungen auf die Agenda
Beim Bundesparteitag der Grünen am 18. November 2019 wurde festgelegt, dass unsere Forderungen Parteiposition sind, d.h. als Richtungsvorgabe für Grüne in Regierungen gelten. Die Sozialdemokrat*innen zogen beim Bundesparteitag am 6.-8. Dezember 2019 nach.
Beschlüsse zu Beleidigungen wackeln
Was die Entscheidung zu Beleidigungen gegen Renate Künast betrifft, legte die Klägerin gemeinsam mit HateAid Widerspruch ein. Immerhin revidierte daraufhin die 27. Kammer des Berliner Landgerichts im Januar 2020 den umstrittenen Beschluss in Teilen. Einige der Äußerungen seien strafbar, nicht gerechtfertigt und unzulässig. Aus der Presseerklärung von HateAid geht hervor, dass das zwar als Erfolg zu werten ist, aber längst nicht ausreicht, zumal es laut Rechtsanwalt Severin Riemenschneider „unverständlich bleibt, warum einige der Beleidigungen so stehen bleiben dürfen“.
Ähnlich verhält es sich bei der SPD-Politikerin Sawsan Chebli, deren Klage ebenso zunächst abgelehnt wurde. Auch sie ist in Revision gegangen.
Vertagt: Konferenz „Digitale Gewalt bekämpfen“
Strategien für den Erfolg des Aufrufes #NetzohneGewalt hätten Thema sein sollen bei unseren Aktivitäten bei der vom Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie gestalteten Konferenz “Digitale Gewalt bekämpfen”.
Wie alle Veranstaltungen kann nun auch diese Konferenz aufgrund der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus leider nicht am 20. März stattfinden. Geplant ist, sie im November nachzuholen. Wir halten euch auf dem Laufenden.
Aber wir müssen nicht bis November warten, um über weitere Schritte nachzudenken.
Was könnt ihr direkt tun, um den Aufruf zu verstärken?
- Teilt den Link und nutzt die Hashtags #NetzohneGewalt und #WebWithoutViolence
- Bisher existieren Versionen in englischer und türkischer Sprache. Helft uns, den Text in weitere Sprachen zu übersetzen, um mit migrantischen Communities daran zu arbeiten und die Forderungen auf internationaler Ebene zur Diskussion zu stellen.
- Ihr wollt über weitere Schritte informiert sein? Dann laden wir euch zu Online-Treffen etc. ein. Schreibt uns eine E-Mail oder abonniert unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
- Ihr plant Veranstaltungen und/oder Aktionen, die sich gut mit dem Aufruf verbinden lassen? Dann informiert uns bitte.
- Ihr habt weitere Ideen dazu? Dann weiht uns gerne ein.
Ihr erreicht uns über folgende E-Mailadresse: info@das-nettz.de