IGF-D: Forderungen der Zivilgesellschaft an Politik, Justiz und Plattformen
Politik, Justiz und Wirtschaft müssen noch mehr gegen Hass im Netz unternehmen. Vier Vertreter*innen der Zivilgesellschaft stellten beim IGF-D 2019 zwölf zentrale Forderungen vor.
Hass und Menschenfeindlichkeit existieren nicht nur im Internet, doch treten sie hier in besonderem Maße zutage. Auf dem diesjährigen Internet Governance Forum Deutschland am 11.09.2019 suchten Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Justiz gemeinsam nach Lösungsansätzen gegen Hass im Netz. Vier Vertreter*innen der Zivilgesellschaft stellten zwölf zentrale Forderungen zur Bekämpfung von Hate Speech an die Politik vor. Dabei waren Simone Rafael (Amadeu Antonio Stiftung / Belltower News), Anna-Lena von Hodenberg, (HateAid), Hannes Ley, (#ichbinhier) und Hanna Gleiß (Das NETTZ - Vernetzungsstelle gegen Hate Speech).
Thorsten Thiel vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft moderierte die anschließende Diskussion, zu der Janina Menzel, (Staatsanwaltschaft Köln / Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW)) und Nina Morschhaeuser (Twitter) eingeladen waren.
So sind sich Das NETTZ, #ichbinhier, HateAid sowie die Amadeu Antonio Stiftung einig: Politik, Justiz und Plattformbetreiber müssen mehr unternehmen, um Hate Speech zu begegnen.
Die zivilgesellschaftlichen Forderungen gegen Hate Speech - verstanden als Sprechakte, die zum Ziel haben, Menschen aufgrund einer (vermeintlichen) Gruppenzugehörigkeit herabzusetzen, die die Würde des Menschen in Frage stellen und sich primär gegen Minderheiten richten - im Überblick:
1. Gesetze für digitale Räume fit machen
Grundgesetz und geltendes Recht benötigen ein Update, um der digitalen Eskalationsdynamik adäquat zu begegnen.
2. Zivilgesellschaft einbeziehen und Engagement fördern
Eine engagierte Zivilgesellschaft fungiert als demokratisches Korrektiv in polarisierten Öffentlichkeiten. Die Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements langfristig und unbürokratisch fördern, ist Aufgabe von Politik. Zivilgesellschaft muss an Lösungen beteiligt werden.
3. Ganzheitlich und international denken
Es bedarf holistischer Ansätze. Best practices müssen international ausgetauscht werden.
4. Spezialisierte Staatsanwaltschaften in allen Bundesländern einrichten
Beleidigungen im Netz haben eine andere Wirkmacht als Beleidigungen im Analogen. Staatsanwaltschaften müssen für die Spezifika der Thematik sensibilisiert und geschult werden.
5. §14 Telemediengesetz reformieren
Bisher gibt es im Telemediengesetz nur einen Gestattungsanspruch. Das heißt, bei einem Auskunftsersuchen nach NetzDG gestattet ein deutsches Gericht den Social Media Plattformen über die Identität eines oder einer mutmaßliche/n Täter*in Auskunft zu geben. Dieses tut es nur in Fällen, in denen zu hoher Wahrscheinlichkeit eine Straftat vorliegt. Die Social Media Plattformen können dann aber immer noch entscheiden, ob sie die Identität herausgeben oder nicht. Sie sind dazu nicht verpflichtet so wie das z.B. im Urheberrecht der Fall ist. Oftmals weigern sich die Plattformen dann diese Auskunft zu erteilen und schützen somit mutmassliche Straftäter*innen. Hier fordern wir statt der Gestattung einen echten Auskunftsanspruch. Auskunftsansprüche zur Identität des/der Täter*in müssen erleichtert werden.
6. Vereinfachte Strafanzeigen bei Straftaten aus dem NetzDG
Löschung nach NetzDG hat keine Konsequenzen für den/die Täter*in – Plattformbetreiber sollten strafrechtlich relevante Verstöße daher automatisch an die Staatsanwaltschaften weiterleiten.
7. Selbstverpflichtung zur Moderation
Reichweitenstarke Seitenbetreiber*innen (z.B. ab 100.000 Followern) müssen ihrer Verantwortung mindestens durch eine Selbstverpflichtung zur Moderation gerecht werden.
8. Schließung der Kommentarfunktion technisch ermöglichen
Sollte eine Moderation der Kommentare unmöglich sein, muss die Möglichkeit zur Deaktivierung der Kommentarfunktion auf großen Social Media Webseiten eingeräumt werden.
9. Datenschnittstellen für wissenschaftliche Analysen bereitstellen
Ausbreitung, Koordination und Wirkung von digitalem Hass sind immer noch zu wenig erforscht: Ein Grund hierfür ist eine zu restriktive, privatwirtschaftliche Kontrolle über Daten. Verantwortliche Forschung muss ermöglicht werden.
10. Eine zentrale Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt
Um akute Bedrohungen effektiver zu entschärfen, bedarf es der langfristigen Förderung und des Ausbaus einer zentralen Instanz (wie z.B. HateAid), die den Kontakt zwischen Hilfesuchenden, Netzwerken, Strafverfolgung und Hilfsangeboten organisiert und leicht zugänglich ist.
11. Das Internet als digitale Öffentlichkeit ernst nehmen
Medienkompetenz und Fortbildungsmaßnahmen im Umgang mit Hassrede für alle Altersgruppen fördern.
12. Mehr Transparenz über die Algorithmen hinter Social Media und Suchmaschinen
Wir benötigen Forschung, um Prozesse der Meinungsbildung und -manipulation besser zu verstehen.