"From #hateSpeech to #hopeSpeech" - Ein Portrait über das Projekt NetzTeufel
Die Verteidigung des christlichen Glaubens wird von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen instrumentalisiert, um menschenfeindliche Positionen zu verbreiten. Es entstehen toxische Narrative, die das Christentum als Argumentationsgrundlage missbrauchen und unsere Debattenkultur vergiften. Was sagen Vertreter*innen der Kirche dazu? Sehr fundierte und überaus spannende Antworten liefert das Projekt NetzTeufel der Evangelischen Akademie zu Berlin. Ausgangspunkt ist eine Analyse toxischer Narrative, die Hass im Namen des christlichen Glaubens befördern. Über das Projekt und die Ergebnisse der Analyse haben wir uns mit Timo Versemann unterhalten.
Das NETTZ im Gespräch mit Timo Versemann, Evangelischer Theologe und Projektleitung bei NetzTeufel, einem Projekt der Evangelischen Akademie zu Berlin ...
Warum habt Ihr das Projekt NetzTeufel ins Leben gerufen und was wollt Ihr verändern?
In den Kirchen gibt es viele Ansätze und Initiativen, sich gegen Unterdrückung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einzusetzen. Die meisten sind aber offline aktiv, in der eigenen Gemeinde, im Verband oder auf der Straße gegen Naziaufmärsche zum Beispiel. Mit dem Projekt wollen wir die Frage nach konkreter Nächstenliebe online stellen und nach menschenfreundlichen Bildern und Erzählungen aus christlicher Perspektive suchen: ,from hateSpeech to hopeSpeech‘ sagen wir dazu gerne.
An wen richtet sich Euer Projekt?
In den Kirchen gibt es unter dem Hashtag #digitaleKirche eine Aufbruchsstimmung im Bereich Digitalisierung von Kirche. Wir wollen diese Energie und die Menschen, die sie tragen, mit denen zusammenbringen, die sich schon lange gegen Diskriminierung einsetzen, wie der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtextremismus.
Ihr habt vor kurzem die Ergebnisse Eurer Social-Media-Analyse veröffentlicht. Was genau habt Ihr untersucht?
Wir haben uns drei Facebook-Seiten angeschaut, auf die sich in Hassmails immer wieder bezogen wurde. Auf diesen Fanpages haben wir den interaktivsten Post jeden Monats des Jahres 2017 inklusive seiner Kommentare analysiert. Wir haben wiederkehrende Erzählungen herausgearbeitet, die Kommunikation vergiften, indem sie eine Stimmung der Angst schüren.
Auffällig ist, wie nah die Erzählungen an denen der gewaltbereiten und extremen Rechten sind, aber oft eine eigene christlich oder theologisch geprägte Variation des Narratives anbieten.
Ihr habt fünf zentrale toxische Narrative identifiziert. Welche Erkenntnisse haben Euch besonders überrascht?
Auffällig ist, wie nah die Erzählungen an denen der gewaltbereiten und extremen Rechten sind, aber oft eine eigene christlich oder theologisch geprägte Variation des Narratives anbieten. Im Zentrum medialer Aufmerksamkeit stehen meistens Hate Storms und sehr krasse Fälle von Hate Speech. Wir haben uns eher weniger aufgeregte Posts und Kommentare angeschaut. Trotzdem haben wir viel Hass und Diskriminierungen gefunden, nur ist die Verachtung von Menschengruppen in unseren Fällen leiser formuliert. Aber gerade deshalb ist sie oft sehr perfide und nicht weniger problematisch. Beim Thema Flucht zum Beispiel wird nicht das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt – das wäre offensichtlich nicht sonderlich christlich. Dafür wird der Asylstatus aber Niemandem mehr zugestanden, weil alle Geflüchteten in Wahrheit „Wirtschaftsmigranten“ seien.
Was passiert mit den Ergebnissen und wie wollt Ihr weitermachen?
Wir haben die Ergebnisse kompakt zum Nachlesen auf unserer Seite veröffentlicht und bereits erste kritische Anfragen aus unserer christlichen Perspektive an die toxischen Argumentationen hinzugefügt. Das soll eine Hilfe für alle sein, die giftige Kommunikation entlarven wollen. Mit unserem Seminar #whatthehope im September wollen wir von den toxischen Narrativen ausgehen und in einem partizipativen Format überlegen, was es für theologische Alternativen gibt und wie Prototypen der digitalen Vermittlung von #hopeSpeech aussehen können.
Wie kann man sich bei Euch einbringen und selbst etwas gegen toxische Narrative unternehmen?
Jede*r kann für sich aktiv werden, weil jeder Post zählt – auch wenn es sich oft nicht so anfühlt. Mit unserer Seite und unseren Kanälen versuchen wir Inspiration zu liefern und dazu anzuregen über digitale Formen von Zivilcourage und demokratischer Positionierung im Raum der Kirche nachzudenken. Wir bringen aber auch verschiedene Menschen auf unseren Seminaren oder anderen Veranstaltungen wie Barcamps offline zusammen, um das Thema aus verschiedenen Perspektiven gemeinsam anzugehen. Gerne können auch Gemeinden oder Verbände uns einladen, um über das Thema zu sprechen. Wir entwickeln zudem gerade einen Workshop (offline) zu Hate Speech und Interventionsmöglichkeiten mit und für Jugendliche. Dieser soll perspektivisch auch ohne uns von Menschen vor Ort in Gruppenstunden oder zum Beispiel im Konfirmand*innenunterricht eingesetzt werden können.
Kennt Ihr vergleichbare (internationale) Projekte, die sich sich mit den Themen Religion und Hate Speech auseinandersetzen?
Im internationalen Raum kennen wir leider kein vergleichbares Projekt, aber auch bundesweit gibt es verschiedene Menschen und Projekte, die sich mit dem Kontext beschäftigen und die wir langsam alle kennenlernen. Der BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend) in Speyer hat letzten Sommer zum Beispiel ein Social-Media-Camp „Zukunftszeit“ veranstaltet, in dem sie Counterspeech ausprobiert oder Gifs gemacht haben. Das Studienzentrum der EKD für Genderfragen hat im letzten Herbst zudem eine richtig gute Studie mit dem Titel „Verhasste Vielfalt“ herausgegeben. Die Studie hat sich sozialwissenschaftlich fundiert mit Hate Speech im Raum von Kirche und Diakonie beschäftigt und formuliert konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang damit.
Die Herausforderung besteht darin, nicht über jedes Stöckchen zu springen, dass uns insbesondere rechte Trolle im Netz hinhalten, gleichzeitig aber Rassismus, Menschenverachtung und Diskriminierungen nicht kommentarlos hinzunehmen.
Was sind aus Eurer Sicht derzeit die größten Herausforderungen beim Umgang mit Hassrede im Internet?
Mehrheitsillusion – In der Wissenschaft wird damit das Phänomen bezeichnet, dass es scheinbare Mehrheiten gibt, die Hass verbreiten. Dieses Gefühl kann sehr lähmend und erdrückend sein. Diese Illusionen werden aber vor allem im Netz von nur wenigen sehr lauten Stimmen geprägt. Wie das konkret aussieht, zeigt die Doku Lösch Dich! über rechte Trollarmeen von Rayk Anders. Wir müssen gesamtgesellschaftlich lernen, die Strategien zu verstehen und damit umzugehen. Gleichzeitig offenbart Hate Speech verschiedene Facetten menschenfeindlicher Einstellungen, die wahrgenommen und bearbeitet werden müssen - auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Die Herausforderung besteht darin, nicht über jedes Stöckchen zu springen, dass uns insbesondere rechte Trolle im Netz hinhalten, gleichzeitig aber Rassismus, Menschenverachtung und Diskriminierungen nicht kommentarlos hinzunehmen.
Wen seht Ihr in der Verantwortung, Lösungen gegen Hate Speech zu erarbeiten?
Alle – das klingt vielleicht etwas nervig, wenn sich immer alle um alles kümmern müssen. Es ist aber halb so wild, wenn wir uns klar machen, dass gerade positive Botschaften die wirksameren und nachhaltigeren Alternativen sind, als sich gebetsmühlenartig an Trollen abzuarbeiten. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht in dem Kontext auch von Demokratie-Narrativen, also eigene kraftvolle Erzählungen von Demokratie und Pluralismus. Wir müssen digitale Jugendarbeit stärken und auch präventiv denken, aber auch die Strafverfolgung muss sich digital noch weiter entwickeln.
In der hebräischen Bibel gibt es schon den Doppelbegriff Recht und Gerechtigkeit, beide können nicht ohne einander auskommen. Es braucht eine Rechtsprechung, die Verfolgte schützt. Aber nicht alles kann durch Gesetze geregelt werden. Es braucht immer konkrete Menschen, die sich für sozialen Ausgleich und spürbare Gerechtigkeit einsetzen – und das eben auch im Netz.
Gibt es aus Eurer Sicht positive Entwicklungen?
Auf jeden Fall, auch wenn wir selbst manchmal dazu neigen, den Freiraum Netz gerade eher negativ wahrzunehmen. Es gibt rund 38.000 Menschen, die in der Facebook-Gruppe #ichbinhier organisiert sind oder die vielen Menschen, die sich jetzt auf Initiative von Jan Böhmermann in Reconquista Internet zusammenschließen.
In diesem Sinne freuen wir uns auf Eure Hope-Speech-Narrative, die in der nächsten Projektphase und anstehenden Workshops entstehen werden.
Danke für das Interview <3