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Guide to #DSA Teil 2: Wie zivilgesellschaftliche Organisationen den Digital Services Act nutzen können

### Alt-Text:  Eine Luftaufnahme eines Schreibtisches mit mehreren Laptops und Smartphones. Mehrere Personen arbeiten gleichzeitig, einige tippen auf Laptops, während andere Smartphones benutzen. Auf dem Tisch befinden sich diverse Gegenstände wie Kopfhörer, Notizbücher, eine Teekanne, Wasserflaschen und Snacks. Die Szene vermittelt ein kollaboratives Arbeitsumfeld, das auf Technologie und digitale Kommunikation ausgerichtet ist.
© Foto von Marvin Meyer auf Unsplash

Seit dem 14. Mai gilt das Digitale-Dienste-Gesetz in Deutschland. Damit kann der Digital Services Act (DSA), die EU-weite Verordnung für digitale Dienste, nun auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden und die Bundesnetzagentur als nationale Koordinierungsstelle ihre Arbeit aufnehmen. Das Gesetz soll die Rechte von europäischen Nutzer*innen im Internet besser schützen, es räumt aber auch der Zivilgesellschaft eine tragende Rolle ein. Wie können zivilgesellschaftliche Organisationen den DSA nutzen?


Die Zivilgesellschaft wird bei der Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) ausdrücklich als Akteur*in betrachtet. Wie kann die Zivilgesellschaft in die Umsetzung des Rechtsakts auf nationaler Ebene eingebunden werden? Hier sind fünf konkrete Aufgabenfelder:

1. Zivilgesellschaftliche Organisationen können Nutzer*innen während des Beschwerdeweges begleited zur Seite stehen (Artikel 53) und für Nutzer*innenrechte einstehen (Artikel 86, 90). 

So kann die Zivilgesellschaft zum Beispiel Beschwerden bei Regelverstößen von Plattformen gegen den DSA einreichen oder Klageverfahren für Nutzer*innen anstrengen. Zivilgesellschaftliche Organisationen können von der Bundesnetzagentur Untersuchungen oder Abhilfemaßnahmen verlangen, wenn sie der Meinung sind, dass Verstöße gegen den DSA vorliegen.

Es ist aber auch denkbar, bei Gefahr von Overblocking für Nutzer*innenrechte einzustehen. Wenn Plattformen zum Beispiel Konten sperren oder Inhalte herabstufen bzw. entfernen, die rechtswidrig sind oder gegen Plattformrichtlinien verstoßen, müssen sie den entsprechenden Nutzer*innen detaillierte Erklärungen dafür geben (Artikel 16); Nutzer*innen müssen aber auch die Möglichkeit haben, Plattformentscheidungen über ein internes Beschwerdesystem anzufechten (Artikel 20). Zivilgesellschaftliche Organisationen können Nutzer*innen vertreten und diese Entscheidung stellvertretend für sie einklagen. Artikel 86 des Digital Services Act soll den Prozess, mit Plattformbetreiber*innen in Kontakt zu treten, erleichtern. 

→ Eine Beschwerde kann hier über die Webseite der Koordinierungsbehörde eingereicht werden.

Best Practice: Mit dem Center for User Rights will die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) die Rechte von Nutzer*innen nachhaltig stärken, einfordern und durchsetzen. Der Digital Services Act gibt Organisationen wie der GFF die Möglichkeit, Nutzer*innen gegenüber Plattformen zu vertreten (Art. 86 DSA). Die eingereichten Beschwerden sollen zudem vorrangig bearbeitet und zeitnah entschieden werden. Bis jetzt haben die Plattformen diese Möglichkeiten entweder nicht oder nur mangelhaft umgesetzt. Die GFF hat deshalb eine Sammel-Beschwerde gegen Google, X, TikTok, LinkedIn und Meta eingereicht. 

2. Zivilgesellschaftliche Organisationen können als vertrauenswürdige Hinweisgeber*in (engl. “trusted flagger”) agieren (Artikel 22). 

Der DSA verlangt von den Plattformen, dass sie über einen Meldemechanismus verfügen, mit dem Nutzer*innen Inhalte, die sie für illegal oder nicht konform mit den Plattformrichtlinien halten, melden oder "kennzeichnen" können. Auf der Grundlage dieser Meldungen müssen die Plattformen entscheiden, ob ein bestimmter Inhalt gelöscht werden soll. Vertrauenswürdige Hinweisgeber*innen sind Organisationen, die im Regelfall besondere Fachkenntnisse haben, um rechtswidrige Inhalte zu erkennen – und deren Hinweise im Vergleich zu regulären Nutzer*innen vorrangig behandelt werden.

Vertrauenswürdige Hinweisgeber*innen werden mit dem Digital Services Act nicht mehr von den Plattformen selbst ausgewählt, sondern von der nationalen Koordinierungsbehörde im jeweiligen EU-Mitgliedstaat - in Deutschland von der Bundesnetzagentur. Für zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich als vertrauenswürdige Hinweisgeber*innen akkreditieren lassen wollen, bedeutet dies, dass sie nun den Status eines „Trusted Flagger“ beantragen und Kriterien erfüllen müssen:

→ Sie müssen Fachkenntnis und Kompetenz zur Erkennung, Identifizierung und
    Meldung illegaler oder hasserfüllter Inhalte nachweisen

→ Sie vertreten kollektive Interessen und sind unabhängig von Plattformen

→ Sie üben ihre Tätigkeit zum Zweck der rechtzeitigen, sorgfältigen und objektiven
    Abgabe von Meldungen aus

→ Sie müssen jährlich Transparenzberichte zu ihrer Arbeit veröffentlichen.

Unklar ist, wie transparent und inklusiv die Auswahl ist, ob für Trusted Flaggers Mittel zur Bewältigung der Arbeitsbelastung zur Verfügung stehen werden – und wie Hinweise von Hinweisgeber*innen beurteilt werden, deren Selektion klare politische Interessen der Regierung verfolgt. Das Risiko des Missbrauchs durch Regierungen ist vor allem in EU-Mitgliedsstaaten zu befürchten, deren Rechtsstaatlichkeit zunehmend ins Wanken gerät. 

→ Hier können sich Organisationen als vertrauenswürdige Hinweisgeber*innen akkreditieren lassen. 
 

3. Zivilgesellschaftliche Organisationen mit juristischer Expertise können als außergerichtliche Streitbeilegungsstelle fungieren (Artikel 21). 

Außergerichtliche Streitbeilegungsstellen werden von der nationalen Koordinierungsbehörde akkreditiert. Als unabhängige Einrichtungen bieten sie eine alternative, billigere und schnellere Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen folgende Kriterien erfüllen:

→ Unabhängigkeit, einschließlich finanziell unabhängig von Online-Plattformen, und Überparteilichkeit

→ Fachkunde in Bezug auf Fragen, die sich in einem oder mehreren Bereichen rechtswidriger Inhalte ergeben, oder in Bezug auf die Anwendung und Durchsetzung der allgemeinen Geschäftsbedingungen einer oder mehrerer Arten von Online-Plattformen

→ nachgewiesene nutzungsfreundliche (leicht zugänglich über elektronische Kommunikationsmittel) und effiziente Vorgehensweise. 

Der Vorteil dieser Klausel ist: Entscheidet die zertifizierte Stelle zu Gunsten der Nutzer*innen, trägt die Plattform die Kosten. Entscheidet die außergerichtliche Streitbeilegungsstelle die Streitigkeit zugunsten der Online-Plattform, so sind Nutzer*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die stellvertretend für Nutzer*innen klagen, nicht verpflichtet, Gebühren oder sonstige Kosten zu erstatten, die die Online-Plattform im Zusammenhang mit der Streitbeilegung gezahlt hat oder noch zahlen muss. Ausnahme: Die außergerichtliche Streitbeilegungsstelle gelangt zu der Erkenntnis, dass Nutzer*innen eindeutig böswillig gehandelt haben. Von akkreditierten außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen getroffene Entscheidungen sind jedoch nicht bindend -– das bedeutet, die Plattform kann, aber muss nicht darauf reagieren. Wenn eine Plattform sich weigert, sie zu akzeptieren, müssten Nutzer*innen wiederum vor Gericht klagen.

→ Hier können sich zivilgesellschaftliche Organisationen als außergerichtliche Streitbeilegungsstelle zertifizieren. 

4. Zivilgesellschaftliche Forschung kann von besserem Zugang zu Plattformdaten profitieren (Artikel 40). 

Nach Art. 40 haben Forscher*innen zwei Möglichkeiten, Zugang zu Daten der sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen (VLOPSEs) zu erhalten:

  1. Nach Art. 40(4) und 40(8) können zugelassene Forscher*innen Zugang zu nicht-öffentlichen Daten erhalten, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ein Antrag auf Datenzugang kann bei der Bundesnetzagentur gestellt werden, sobald ein delegierter Rechtsakt der Europäischen Kommission vorliegt, der die technischen Bedingungen zur Zulassung festlegt. Ungeklärt ist auch, wer als Forschende*r im öffentlichen Interesse gilt – und inwiefern zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Anschluss an eine Forschungseinrichtung Anspruch auf nicht-öffentliche Daten haben werden.
     
  2. Nach Art. 40 (12) müssen bereits öffentlich zugängliche Daten zur Verfügung gestellt werden. Die Plattformen und Dienste bieten hierfür in der Regel eigene Antragsformulare.

Organisationen der Zivilgesellschaft mit Forschungseinheit haben nach jetzigem Stand die Möglichkeit, nach Art. 40(12) Zugang zu Daten von VLOPSEs anzufordern. Diese Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist bereits ein Erfolg, da der Datenzugang ursprünglich akademischen Institutionen vorbehalten war. Dennoch könnte das Prüfungsverfahren weiterhin eher auf Universitäten ausgerichtet sein (z.B. Datensicherheitskonzept, Peer-Reviewing). 

Der Datenzugang-Tracker des Weizenbaum Instituts zeigt, wie erfolgreich Datenzugangsanträge für Forschende sind. Ein striktes Prüfverfahren mit Hürden für nicht-akademische Forschende stellt bisher ein Hindernis vor allem für kleinere Organisationen der Zivilgesellschaft dar. Voraussetzung für eine Anfrage ist, dass sich die Forschungsfragen auf Daten in der EU und auf “systemische Risiken” oder deren Abminderung beziehen, einschließlich der Verbreitung illegaler Inhalte, geschlechtsspezifischer Gewalt oder der Auswirkung auf den Schutz von Minderjährigen und demokratische Prozesse.

Hier eine Übersicht an Datenzugangsformularen nach Artikel 40(12) des DSA:

→ TikTok Researcher API

→ Meta Content Library

→ X/Twitter

→ YouTube

5. Die Zivilgesellschaft kann in Deutschland zivilgesellschaftliche Belange an die nationale Koordinierungsbehörde herantragen. 

Fachkenntnisse und Erfahrungen zu Themen, die das Digitale-Dienste-Gesetz abdeckt, können die Bundesnetzagentur als nationale Koordinierungsstelle und andere Behörden nur mühsam allein erlangen. Besser ist ein Austausch mit Expert*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Im Digitale-Dienste-Gesetz wurde deshalb ein DSC-Beirat mit acht Sitzen für die Zivilgesellschaft etabliert. Der Beirat soll als Expert*innengremium die Koordinierungsstelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen und als Bindeglied zu Wissenschaft und Praxis fungieren. 

Bis jetzt sind die Aufgaben des Beirats recht vage formuliert. Viele Organisationen, gerade aus der Zivilgesellschaft, kritisieren am Digitale-Dienste-Gesetz, dass es zusätzlich zu den Reisekostenerstattungen und Sitzungsgeldern keine Aufwandsentschädigung für die Beiratstätigkeit gibt. 

Bisher unbekannt ist auch, anhand welcher Expertise und wie transparent Mitglieder vom Bundestag ausgewählt werden – und was mit den Empfehlungen des Beirats passiert, wenn sie beim DSC oder anderen Behörden gelandet sind. 

→ Ein offizielles Bewerbungsverfahren für interessierte Beiratsmitglieder gibt es nicht. Der Bundestag schlägt die Mitglieder des Beirats vor. Bei Interesse können sich zivilgesellschaftliche Organisationen direkt beim Bundestag melden.

Neben einer Positionierung im Beirat ist es auch möglich, die Arbeit der nationalen Koordinierungsbehörde kritisch zu beobachten. Organisationen der Zivilgesellschaft können als Gatekeeper fungierend beäugen, ob die Bundesnetzagentur wirklich unabhängig, unparteiisch und transparent handelt.

Fazit 

Im DSA wird wie in kaum einem anderen Gesetz bei der Durchsetzung auch auf die Zivilgesellschaft gesetzt. Die Crux: Die Erwartungen an die Zivilgesellschaft stehen in starkem Kontrast zu den finanziellen Ressourcen, denn ein nachhaltiges Finanzierungsmodell fehlt. 

Der „Lackmustest“ für den Digital Services Act wird darin bestehen, welche Handlungsmöglichkeiten Nutzer*innen erhalten, die von rechtswidrigen Inhalten und Verstößen gegen die Community-Richtlinien der Plattformen betroffen sind. Das NETTZ wird diese Entwicklung kritisch begleiten.

Zurück zu den Grundlagen? In unserem ersten Teil des Guides findest du die Versprechen des DSA.

Foto Lena-Maria Böswald
Autor*in

Lena-Maria Böswald

(sie/ihr) Advocacy Managerin

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