Förderwettbewerb 2019: Applaus für fünf Gewinner*innen-Projekte
Die meisten Initiativen gegen Hate Speech und für eine konstruktive Debattenkultur arbeiten mit beschränkten Mitteln, viele sogar komplett ehrenamtlich. Um diese wertvolle Arbeit und auch neu hinzukommende innovative Ideen zu unterstützen und größer zu machen, vergeben wir einmal jährlich insgesamt 20.000 Euro an vielversprechende Projekte.
Für unseren Förderwettbewerb haben wir in diesem Jahr 14 Bewerbungen erhalten. Eine unabhängige Jury, bestehend aus Jasna Strick und Raul Krauthausen sowie dem betterplace lab hat die überzeugendsten zehn Projektideen ausgewählt. Kriterien waren Wirkungspotential, Wirtschaftlichkeit, Realisierbarkeit, Innovation, Übertragbarkeit/Nachhaltigkeit und thematischer Bezug zu Hate Speech/positive Debattenkultur.
Die Finalist*innen durften ihre Ideen auf dem Community Event am 6.6. live pitchen - einer der Höhepunkte der Veranstaltung. Aufgeregte Finalist*innen nutzten ihre Minute Redezeit um eindrucksvoll zu erklären, für welches Projekt sie den Preis nutzen würden. Schließlich fiel die Entscheidung für fünf der zehn angetretenen Projekte.
Der NETTZ Förderpreis 2019 wurde vergeben an:
1. Platz: GENDER EQUALITY MEDIA E.V. mit dem Projekt #UNFOLLOWPATRIARCHY
2. & 3. Platz: EXTREMISLOS E.V. mit dem Projekt EXTREMISLOS GLÜCKLICH SEIN und OPEN HISTORY E.V. mit dem Projekt GESCHICHTSCHECK,
4. Platz: Reconquista Internet mit dem Projekt HASSMELDEN
5. Platz: KREISAU-INITIATIVE E.V. mit dem Projekt #weneedtotalk
Herzlichen Glückwunsch, wir wünschen euch viel Erfolg!
Um den Teilnehmenden ihre Entscheidung zu erleichtern und auch um die Gewinner*innen der Förderwettbewerbe 2017 und 2018 zu ehren haben wir eine Ausstellung erstellt, die fester Bestandteil unseres Veranstaltungsortes war.
Die fünf preisgekrönten Projekte möchten wir hier kurz vorstellen.
1. Gender Equality Media e.V. - #UnfollowPatriarchy
Gender Equality Media erhielt die meisten Stimmen beim Community Voting. Sie wollen durch Recherchen und Analysen medialen Sexismus aufdecken und die verantwortlichen Journalist*innen persönlich damit konfrontieren, vor allem online auf Twitter und via E-Mail. Gleichzeitig zeigen sie mit „Recoding:Media”, einer Art Code of Conduct für Medienschaffende, dass es auch anders geht. Bisher arbeitet das gesamte Team ehrenamtlich. Mit dem Förderpreis möchten sie einen Webcrawler einrichten, der mittels eines Codes automatisch Online-Nachrichtenseiten nach Schlagwörtern durchsucht und sie abspeichert.
Der Lösungsansatz besteht größtenteils aus Gegenrede, umfasst aber auch Bildungselemente und Community Organizing online und offline. Journalistische Medien werden nach speziellen Themen und Schlagworten gescreent, um Beweise für sexistische Berichterstattung zu sammeln, archivieren und zu veröffentlichen. Abgesehen von der Konfrontation der verantwortlichen Autor*innen schlägt Gender Equality Medien konkrete Verbesserungen vor und fordert Veränderungen. Über Social Media Kanäle und Blogposts wird vernetzt und mobilisiert, um den Druck zu erhöhen.
Wirkungsziel: Kurzfristig sollen die verantwortlichen Journalist*innen den Sexismus in ihren Online-Artikeln Texten korrigieren. Dabei hatte das engagierte Team bereits mehrfach Erfolg. Sie fordern, dass deutsche Medien aufhören Frauen auf ihr Äußeres zu reduzieren, zu sexualisieren und Gewalttaten gegen Frauen zu verharmlosen. Denn solche Praktiken fördern ein Debattenklima, in dem Diskriminierung, Beleidigungen und Gewalt gegen Frauen* – online und offline – akzeptabel erscheinen. Deutsche Redaktionen sollen diese Art von Diskriminierung, ob als Begriff, Bild oder Botschaft, verbannen, sich stattdessen zu einer geschlechtergerechten Berichterstattung bekennen und diese umsetzen.
2. Extremislos e.V. - Extremislos glücklich sein
Als zweites wurde das überzeugende Projekt von Extremislos ausgewählt. Mit dem ehemaligen Extremisten Philip Schlaffer wirkt der Verein niedrigschwellig auf Youtube, Facebook und Instagram. Mythen vom Extremismus werden schnell und direkt aufgelöst. Bei Live Schaltungen im Internet können Fragen gestellt werden und diese werden direkt und nicht mit erhobenem Zeigefinger beantwortet. Extremislos produziert leicht konsumierbare und authentische Videos, die sehr viele Menschen erreichen. Das Preisgeld wird verwendet für Honorare und technische Ausrüstung.
Wirkungsziel: Deradikalisierung. Der niedrigschwellige Kanal „Ex- Rechte Rotlicht Rocker“ erreichte im Februar 2019 über 230.000 Klicks und über 2,5 Millionen Minuten Abspielzeit. Hinzu kommen über Facebook, Instagram und Youtube fast täglich Anfragen zum Thema Extremismus und Anti Gewalt Arbeit von Menschen, die aus den unterschiedlichsten kriminellen Milieus aussteigen wollen.
3. Open History e.V. - GeschichtsCheck
Gleichauf in der Punktzahl war eine engagierte Gruppe von Historiker*innen. Das Projekt „GeschichtsCheck“ gegen historische (Schein-)Argumente und Verschwörungstheorien (Beispiel: „Ohne die Migranten haben wir das Wirtschaftswunder geschafft!“). Auf www.geschichtscheck.de haben sie einen Werkzeugkasten zu historischen Motiven, die für Hate Speech genutzt werden, aufgebaut. Zusätzlich haben in zahlreichen Workshops an weiterführenden Schulen Präventionsarbeit in Bezug auf den Missbrauch von Geschichte in Hassrede im Internet geleistet.
Mittlerweile ist das Angebot auf der Internetseite in Teilen optisch wie inhaltlich veraltet und bedarf einer grundlegenden Neukonzeption, um Erwartungen in Bezug auf inhaltliche Akkuratesse, technische Qualität und ansprechendes Design weiterhin entsprechen zu können. Ziel ist weg von textlastigen Beiträgen hin zu einer (populär-)wissenschaftlichen, flexibel nutzbaren Datenbank für gesichertes historisches Wissen im Kontext gängiger historischer Fehlannahmen. Das Preisgeld soll ein zweitägiges Arbeitstreffen finanzieren.
Ziel: Neukonzeption der Plattform sowie die Entwicklung von besserem Unterrichtsmaterial, das im Anschluss im Geschichtsunterricht einer Schule getestet wird.
Wirkungsziel: Die Vision besteht damals wie heute in einer besseren, flexiblen, gut zugänglichen und leicht zu findenden Internetplattform, die es der Öffentlichkeit erleichtert, bei historischen Themen nicht länger sprachlos zu sein. Tausenden von Nutzer*innen soll geholfen werden, fachwissenschaftlich gesicherte, aber leicht verständliche Informationen im Internet zu finden, um historischem Halbwissen und kruden Verschwörungstheorien aktiv begegnen zu können. Mit einem neu konzipierten Workshop soll möglichst vielen Schüler*innen fachspezifische Medienkompetenz in Bezug auf Geschichte vermittelt werden; es soll ihnen leichter fallen, seriöse von unseriösen Informationen zu trennen.
4. Reconquista Internet - Hassmelden
Die viert meisten Punkte erhielt Reconquista Internet. Über die Meldeplattform www.hassmelden.de können extremistische, rassistische und andere potenziell justiziable Inhalte gemeldet werden. Jede Meldung wird durch das ehrenamtlich arbeitende Team geprüft und potentiell strafrechtlich Relevantes selbst oder zusammen mit dem Landes-Demokratiezentrum Baden-Württemberg (Meldestelle respect!) angezeigt.
Die zentrale Domain ist das Kernstück des Projekts, wird allerdings von anderen Aktionen wie dem Hassreport (https://hassreport.de) oder dem Standardcheck (https://standardcheck.de) begleitet, die das Ausmaß des Problems Hass im Netz vor Augen führen. Das Preisgeld soll vor allem die auflaufenden Kosten der Meldeplattform tragen.
Wirkungsziel: Mit einer Meldung über die Plattform können strafrechtliche Konsequenzen für Straftäter*innen im Netz ausgelöst werden – mit einem Klick oder einer Nachricht an den Telegram-Bot. Der Anschein, dass das Netz rechtsfrei ist, ist nämlich genau das: ein Schein. Dieser Lerneffekt soll in Kreisen enthemmter Nutzer*innen stattfinden.
5. Kreisau-Initiative e.V. - #weneedtotalk
Da Open History nicht die volle Fördersumme beantragt hatte, blieb noch ein Teil des Preisgeldes für die Kreisau-Initiative übrig, die die fünft meisten Stimmen erhielt. Das hat uns besonders gefreut, denn es ist ein deutsch-polnisch-ukrainisches Projekt und allein dadurch schon hoch spannend. Projektziel ist es, Bildungsmaterialen für eine stärkere Medienethikkompetenz von Jugendlichen zu erstellen. Es sollen Methoden entwickelt werden, die die Bewusstseinswerdung junger Menschen für digitale Werte fördern und die Zielgruppe befähigen sich aktiv gegen Hass im Netz zu engagieren.
Das Projekt richtet sich an Mutliplikator*innen der non-formalen und formalen Bildung aus Deutschland und Polen, die im Bereich Medienpädagogik aktiv sind. Wer eine Medienethikkompetenz fördern möchte, muss in europäischen Dimensionen denken: Hate Speech und Fake News sind transnationale Herausforderungen. Das Internet ist ein transnationales Medium, das Menschen verbindet. Im Blick auf den Wissenstransfer ist es nachhaltig, wenn diese Verbindungen auch im Austausch über digitale Herausforderungen im Begegnungskontext bearbeitet und diskutiert werden. Neben der Vernetzung von Multiplikator*innen gibt es somit automatisch diverse Perspektiven. Das Preisgeld wird genutzt für ein Seminar der Multiplikator*innen.
Wirkungsziel: Eine große Herausforderung im Bereich der Medienkompetenzförderung ist die Beschleunigung, durch die die digitale Welt charakterisiert ist. Mit Blick auf die Generationsfrage ist nicht abzustreiten, dass der Umgang mit Medien sich zwischen „digital immigrants“ und „digital natives“ unterscheidet. Das stellt insbesondere für die Bildungsarbeit eine Herausforderung dar, weil es keinen Wissensvorsprung in der digitalen Welt mehr gibt. Diese nicht zu unterschätzende Dynamik braucht innovative Antworten: Demnach werden Bildungsmaterialien entworfen, die Jugendliche in ihrer Lebenswelt abholen und ermöglichen, das eigene Wertegerüst zu reflektieren.
Ein kräftiger Applaus geht an alle Bewerber*innen für ihr Engagement und ihre spannenden Ideen. Neben den Finalist*innen danken wir ebenfalls KulturLeben UG, Liebe wen du willst e.V., Mixity e.V. Research and Dialogue Hub, dem Bund für Soziale Verteidigung e.V., glokal e.V., DADDY Magazine, dem Bürgerzentrum Neue Vahr e. V., dem Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern und Fabian Salars Erbe e.V. für ihre Einreichungen und ihre wertvolle Arbeit für eine gute Debattenkultur!
Bei den Pitchings ist uns aufgefallen, dass viele Projektideen gut ineinander greifen. Am besten kooperiert ihr also!
Gerne möchten wir den Förderwettbewerb auch 2020 wieder ausschreiben, können dies aber aktuell noch nicht versprechen. Schaut einfach regelmäßig auf unsere Seite, abonniert unseren Newsletter und wir halten euch auf dem Laufenden.
Hanna Gleiß
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin