#ElfenStattTrollen: Gemeinsam gegen Diskriminierung - aber wie?
Am 1. & 2. Oktober 2020 hat das NETTZ zum vierten Community Event eingeladen. Diesmal vor allem digital. Zu dem konstruktiven Austausch von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Medien gehörte eine Fishbowl-Diskussion mit Expert*innen zum Thema Antidiskriminierung. Gemeinsam wurde über die Belastungen aktiver Betroffener gesprochen, was es braucht, um diese zu mindern, was Solidarität eigentlich bedeutet und welche Probleme in der Antidiskriminierungsarbeit auftauchen.
Auf unserem virtuellen Podium versammelten sich fünf Expert*innen zum Thema Antidiskriminierung:
Dalia Grinfeld ist Assistent Director for European Affairs in der Anti-Defamation League (ADL) und Mitgründerin der Jüdischen Student*innen Union Deutschland (JSUD). Zudem ist sie auch Aktivistin gegen alle Formen von Hass, insbesondere gegen Antisemitismus.
Malcolm Ohanwe ist Journalist beim Bayerischen Rundfunk und ebenfalls bekannt durch seinen Podcast „Kanackische Welle“. Sein Hauptanspruch liegt darauf, demokratische Werte zu repräsentieren, sie zu stärken und dazu zu recherchieren. Malcolm arbeitet in seinen Stücken - nicht nur, aber oft - anti-schwarzen Rassismus auf.
Ouassima Laabich-Mansour ist Referentin und Trainerin zu den Themen Empowerment, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus, insbesondere antimuslimischer Rassismus und Jugendpolitik. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der muslimischen Jugendarbeit.
Sonja Kosche betreibt Medienmonitoring und dokumentiert die Berichterstattung und Diskussionen gegen Sinti*zzi und Rom*nja im Netz. Sie war als Expertin für Antiziganismus bei uns.
Thị Minh Huyền Nguyễn ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Neben ihrem Blog und Podcast, in dem es um Gesundheit und Laufsport geht, hat sie 2020 die Plattform “IchbinkeinVirus.org" mitgegründet, die sich gegen anti-asiatischen Rassismus, vor allem seit der Corona-Pandemie, engagiert.
Schon während der Vorstellungsrunde wurde klar, dass das Jahr 2020 neben der Pandemie auch einen massiven Anstieg an Rassismus mit sich brachte. Obwohl auch vor dem Ausbruch von Covid-19 für alle aktiven Antirassist*innen schon viel zu tun war, spitzte sich die Situation für einige nochmals zu. Sonja berichtet von einer Überschreitung ihrer persönlichen Belastungsgrenze: "Wir sind zu wenige, wir können nicht dagegenhalten. Im Netz werden Dinge verbreitet, die zu regelrechten Pogromen führen." Auch Huyền berichtet, dass sie und ihre aktivistischen Freund*innen und Bekannten regelrecht ausgebrannt seien.
Dabei ist klar, dass gerade jetzt Stärke gefordert ist, um sich gegen den Hass zu stellen. Doch was tun, wenn Aktive überlastet sind? Was wird gebraucht, damit Engagierte angesichts von Lügen, Hass und Hetze nicht klein beigeben müssen? Die Diskutant*innen sind sich einig: Es bedarf mehr Unterstützung und Solidarität.
“Solidarität” - Einen Begriff mit Inhalt füllen
Was genau aber heißt eigentlich Solidarität? Wie kann Solidarität konkret aussehen und von wem soll sie ausgehen?
In unserer Fishbowl werden als solidarische Unterstützer*innen zum einen die engagierte Zivilgesellschaft diskutiert, die wir als Community zum Teil selbst darstellen. Zum anderen sprechen wir über die Rolle einzelner, auch nicht-betroffener Privatpersonen, die sich solidarisch verbünden können.
Unsere Diskutant*innen haben über konkrete Forderungen und Wünsche gesprochen.
Dalia wünscht sich von der engagierten Zivilgesellschaft zum Beispiel:
“Wir müssen uns mehr zusammenschließen. Dafür muss sich auch jede*r regelmäßig selbst fragen: Wann habe ich bzw. wir zum letzten Mal Andere unterstützt? Kann ich z.B. bei einer laufenden Kampagne unterstützen? Zum anderen ist es auch sehr wichtig, dass wir uns trauen nach Hilfe zu fragen. Ich weiß, es fühlt sich nicht immer gut an, um Hilfe zu bitten, aber sie kommt nicht immer von allein, auch wenn man sich das wünscht.”
Wir müssen uns als Organisationen, Initiativen und Vereine mehr vernetzen und austauschen. Um so eine Kultur gegenseitiger Unterstützung zu schaffen, müssen wir aktiv unsere Unterstützung anbieten und diese auch gezielt anfragen. So kann es gelingen, dass wir gemeinsam stärker werden.
Dazu, wie sich Privatpersonen solidarisch zeigen können, um Allies - starke Verbündete - zu werden, gibt es unter unseren Diskutant*innen verschiedene Ansätze.
So meint Huyền, dass Antirassismus auf einer strukturellen als auch auf einer sozialen, persönlichen Ebene stattfinden muss. Dafür ist es wichtig, dass besonders auch weiße Menschen diverse Freundschaften und Bekanntschaften schließen. Denn durch den Kontakt mit Personen, die nicht in eine weiße heterosexuelle Norm passen, können sich stereotype Vorstellungen gegenüber bestimmten Gruppen abbauen. Um soetwas zu ermöglichen, brauchen wir alltägliche, diverse Begegnungsräume. Diese zu schaffen ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Als Einzelperson muss man sich immer wieder fragen, wie man persönliche Privilegien nutzen kann, um weniger privilegierte Menschen zu unterstützen. Das kann darin bestehen, dass im Beruf diverse Menschen eingestellt werden oder auf dem Podium sitzen.
Sonja betont, dass Perspektiven, die von Betroffenen eröffnet werden, als solche anerkannt werden müssen. Ein großes Problem, so beschreibt sie, liegt darin, dass Nicht-Betroffene oft die Deutungshoheit über Fragen an sich reißen wollen, wie z.B. was eigentlich rassistisch ist und was nicht. Sie berichtete von antiziganistischen Vorfällen auch innerhalb der Anti-Hate-Speech-Community. Solche Vorfälle sind für Betroffene besonders schmerzvoll, wähnt man sich doch in einem sicheren Raum.
Es fehlt an Aufklärung dazu was Antiziganismus ist, wie präsent er sich in Debatten zeigt, an klarer Gegenrede und klarem Ausschluss von dieser Form des Rassismus. Die Expert*innen der Fishbowl stimmten darin überein, dass Antiziganismus die Form von Menschenfeindlichkeit darstellt, die in allen Bereichen am schnellsten anschlussfähig ist.
Antirassistische Arbeit fängt bei uns selbst an, betrifft die Kontexte in denen wir arbeiten und die Menschen mit denen wir leben. Wir alle, besonders die Nicht-Betroffenen von Diskriminierung müssen uns immer wieder selbstkritisch hinterfragen, eigene blinde Flecken bemerken und daran arbeiten. Das gilt auch für Arbeitgeber*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Schulen und alle Räume, in denen wir uns begegnen. Zum kritischen Weißsein gibt es gute Denkanstöße, z.B. im Podcast "Kanackische Welle".
Solidarität heißt also auch, Perspektiven von Menschen wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Diese Stimmen müssen auch in der Öffentlichkeit abgebildet werden, damit alle Teile unserer pluralen Gesellschaft repräsentiert werden. Um das zu schaffen, muss BPoC und deren Perspektiven mehr Raum in öffentlichen Debatten gegeben werden.
Malcolm findet nicht, dass antirassistische Solidarität primär über soziale Kontakte laufen muss. Das wichtigste sei es, zu verstehen, dass die Meinung des eigenen Dunstkreises nicht von allen Menschen geteilt werden kann, weil strukturelle, soziale, ökonomische und politische Differenzen zwischen Menschen bestehen. BPoC leben häufig in einer anderen Lebensrealität als weiße Menschen. Diese Lebensrealitäten wurden und werden von Betroffenen beschrieben, etwa in Literatur, Filmen, Podcasts und Kunst. Durch eine Auseinandersetzung mit diesen Angeboten erhält man Wissen, ohne welches ehrliche und wirksame Solidarität, sowie ein sensibler Umgang miteinander, nicht funktionieren kann. (Eine kleine Übersicht an Angeboten findest du hier).
Dalia fügt dem hinzu, dass man auch damit starten kann, die eigene Filterblase in Social Media zu diversifizieren. Ein guter Anfang wäre es, auf digitalen Kanälen Menschen zu folgen, die nicht so aussehen wie man selbst oder die nicht im gleichen Milieu aufgewachsen sind. Denn dadurch lernt man Lebenswelten verschiedener Personen kennen und bleibt nicht bei einer Reduktion von Menschen auf gruppenbezogene Stereotype oder häufig damit in Verbindung gebrachte politische Problematiken. Durch das wiederholte Posten dieser Inhalte diversifiziert man zudem die Filterblasen der eigenen Follower*innen.
Solidarität braucht also Wissen, Offenheit für andere Perspektiven und Empathie.
Antirassismus für alle!?
Die Notwendigkeit dieser (eigenständigen) antirassistischen Bildung ist aber auch Teil eines Problems: So bemerkt Huyền, dass aktivistische, politische Kreise häufig sehr elitär sind.
Eine gute Vorbildung, Geld und Zeit sind Faktoren, die die eigene Auseinandersetzung mit antirassistischen und politischen Themen erleichtern. Diese Ressourcen sind Menschen sehr unterschiedlich zugänglich, was zu strukturellen Problemen führt. Das Wissen um einen sensiblen Sprachcode, sowie postkoloniale Theorie und Praxis ist für viele Menschen exklusiv und schließt sie daher aus. Damit entsteht die Gefahr einer klassistischen Diskriminierung innerhalb der Antidiskriminierungsarbeit. Ouassima ergänzt, dass diskriminierende Strukturen auch deswegen so schwer zu verstehen sind, weil sie historisch und sozial gewachsen sind. Deswegen handelt es sich auch nicht um ein Thema, dass man mit ein paar Argumenten darlegen kann, sondern um ganze Themenkomplexe, für die es Zeit bedarf, um sie zu verstehen.
Um auf diese Herausforderungen einzugehen, braucht es mehr öffentlich zugängliche Bildung, sodass Menschen sensibilisiert werden können, die außerhalb einer antidiskriminierenden Blase unterwegs sind. Dabei ist ein Schlüssel für niedrigschwellige Angebote der Gebrauch einfacher Sprache, um Anliegen transportieren zu können.
Dalia teilt diese Einschätzung und entwickelt aktuell ein Bildungskonzept zu Rassismen für Schulklassen. Schon junge Menschen sollten auf eine konstruktive Weise mit diesen Themen in Berührung kommen und dadurch ein Verständnis für spezifische Problematiken aufbauen können.
Bei dem Versuch, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, gilt es aber auf erneute Herausforderungen zu achten, erzählt Malcolm.
Im Rahmen seines Podcasts „Kanackische Welle“ bemerkte er, dass man nicht in jedem Kontext jedes Thema einfach in den Raum stellen kann, wenn alle daran teilhaben sollen.
“Es gibt Themen, für die erst ein bestimmter Raum geschaffen werden muss, um sie anzusprechen. Wir haben zum Beispiel das Thema Sexismus erst nach einigen Folgen im Podcast thematisiert, weil wir zuerst ein vertrauensvolles Klima schaffen wollten. Wenn Menschen so ein Gefühl dafür bekommen, auf welche Weise wir Anliegen verhandeln, fällt es ihnen leichter, offen in ein sensibles Thema einzusteigen.”
Die Bereitschaft, sich auf Themen einzulassen, bei denen man selbstkritisch über sich reflektieren muss, um sie zu verstehen, muss durch einen sicheren, äußeren Rahmen geschaffen werden. So kann antidiskriminierende Bildung wirksam sein.
In a nutshell
In unserer Fishbowl-Diskussion beim #CE20 wurden offen und selbstkritisch Wünsche, Forderungen und Herausforderungen an die Antidiskriminierungsarbeit diskutiert.
Dabei wurde klar, dass und wie sich jede Person auf verschiedene Weise solidarisch zeigen kann und sollte. Wichtig bleibt, Awareness für die eigenen (Wissens-)Grenzen zu haben, klassistische Tendenzen im Blick zu behalten und Ausschluss zu vermeiden. Grundvoraussetzungen solidarischen Handelns bleiben bestehen: spezifisches Wissen und Empathie, die sich aus diesem Wissen ergibt, sowie Offenheit und Mut sich selbst zu hinterfragen.
Wir wollen uns mehr vernetzen und gemeinschaftlich arbeiten. Die Herausforderung kollaborativer Arbeit besteht auch innerhalb der engagierten Zivilgesellschaft darin, dass wir uns gegenseitig verstehen und anerkennen. Dafür müssen wir alle eine Lernreise mitgehen. Leider beinhaltet diese Reise auch immer wieder Reibung und Enttäuschung. Wir wollen uns aber diesen Herausforderungen stellen und mit euch zusammen meistern.
Wenn euch in eurer Umgebung Rassismen begegnen, ihr aber nicht wisst, wie ihr dagegen vorgehen könnt, dann holt euch professionelle Unterstützung, wie z.B. Antidiskriminierungs-Coaches und Mediator*innen. Wenn ihr Kontakte braucht oder weitere Ideen habt meldet euch gerne bei info@das-nettz.de. Wir als das NETTZ können Euch unterstützen und Kontakte im jeweiligen Feld vermitteln.
Wir wollen dafür sorgen, dass plurale Perspektiven in allen Lebensräumen vertreten sind. Wenn wir uns mehr trauen, zusammen zu arbeiten, dann können wir als Community noch stärker werden!
Einen Schritt in diese Richtung sind wir gemeinsam beim Community Event 2020 gegangen.
Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an die Diskutant*innen unserer Fishbowl.