Veranstaltung

Einblicke in “Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure”

Druckexemplare der Studie
Printexemplare der Studie "The Online Ecosystem of the German Far-Right"  |  © Robert Bosch Stiftung / Anita Back

Eigentlich sollte hier in der Einleitung etwas zu dem Attentat in Halle stehen. Die Tat in Hanau hat sich erst vergangene Woche ereignet und reiht sich leider als neuer rechtsextremistischer Terroranschlag ein. Hanau, Halle, Christchurch und andere … Die Täter radikalisierten sich online, sind international vernetzt und bekennen sich in Manifesten und Videos zu ihren Taten. Der Attentäter aus Halle übertrug seine Tat per Livestream auf die internationale Gaming-Plattform Twitch. Das Video wurde zwar gelöscht, aber auf alternativen Plattformen (z.B. Telegram) kursieren weiterhin Kopien davon. Die Täter werden in alternativen Online-Plattformen für ihre Angriffe international gefeiert. Verschwörungstheorien, Frauenhass, Rassismus - ihre Motive gleichen einander. Sie tauschen sich online darüber aus.

Die von der Robert Bosch Stiftung finanzierte Studie “Das Online-Ökosystem Rechtsextremer Akteure” des Institute for Strategic Dialogue (ISD) widmet sich der Rolle alternativer Online-Plattformen bei der Vernetzung, Mobilisierung und Radikalisierung von Rechtsextremist*innen. Wir haben die Ergebnisse für euch zusammengefasst und bei zwei Veranstaltungen mit den Forscher*innen Julia Ebner, Jakob Guhl, Jan Rau und Milo Comerford sowie Vertreter*innen aus Politik, Medien und Wissenschaft diskutiert.

Die Vernetzung rechtsextremer Akteur*innen wurde bereits in der Vergangenheit nachgewiesen. Dabei lag der Fokus vor allem auf Aktivitäten in den großen sozialen Netzwerken. Die Frage zu rechtsextremen Subkulturen auf alternativen Online-Plattformen lag nahe. Die vorliegende Studie legt dabei einen Forschungsschwerpunkt auf Aktivitäten in Deutschland. Die initialen Gespräche zwischen uns und dem Institute for Strategic Dialogue liegen bereits knapp 2 Jahre zurück. Am 11.2. freuten wir uns über den Launch der Studie.

Die Forscher*innen des Institute for Strategic Dialogue belegen und quantifizieren die Aktivitäten dieser Subkulturen auf alternativen Plattformen. Ergänzend hierzu untersuchte die Amadeu Antonio Stiftung im kürzlich veröffentlichten Monitoringbericht “Alternative Wirklichkeiten: Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien” mit qualitativen Methoden ihre Kommunikaktionsstrategien im Netz. Der Zusammenhang zwischen gewalttätigen Attentaten und Online-Radikalisierung wird in Studien belegt. Umso dringender brauchen wir sinnvolle Interventionen. Was können Politik, Medien, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tun?

Radikalisierungsgefahr durch alternatives Online-Ökosystem

Durch Regulierungsansätze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz für die großen sozialen Netzwerke werden rechtsextreme Accounts und Inhalte gesperrt. Infolgedessen migrieren ihre Mitglieder auf kleinere, alternative Plattformen. Die vorliegende Studie ist eine der umfangreichsten Analysen dieses alternativen Ökosystems und damit eine wertvolle Datengrundlage für konkrete Lösungsansätze. Das Forschungsteam des ISD untersuchte die Online-Kanäle nach folgenden Fragen: Wie groß sind die rechts-alternativen Communities? Warum gehen Menschen auf diese Plattformen? Welche Themen werden diskutiert? Wie viel Einfluss haben Gruppen in den alternativen Netzwerken im Vergleich zu den Mainstream-Plattformen?

"Insgesamt finden wir auf diesen Plattformen das gesamte Spektrum rechtsextremer Akteure von primär muslimfeindlichen Bewegungen bis hin zu militanten Neonazis."
Jakob Guhl
Studienautor, Institute for Strategic Dialogue

Telegram und VK spielen eine wichtige Rolle

Das ISD untersuchte 2019 zehn alternative Online-Plattformen und identifizierte 379 rechtsextreme und rechtspopulistische Kanäle. Auf dem Messenger-Dienst Telegram (129 Kanäle), dem russischen Netzwerk VK (115 Gruppen) und der YouTube-Alternative Bitchute (79 Kanäle) sammeln sich die meisten Gruppen und Kanäle. Hier gibt es sichtbare Überschneidungen mit den bevorzugten Plattformen der englischsprachigen Alt-Right. Weitere relevante Plattformen sind Gab, Reddit, Minds, Voat, Discord und 4chan. Die analysierten Plattformen lassen sich dabei in drei Gruppen unterteilen: jene, die für unpolitische Zwecke (z.B. Gaming) konzipiert und von Rechtsextremist*innen gekapert wurden, jene, die auf libertären Prinzipien basieren und damit Meinungsfreiheit verteidigen und jene, die direkt von Rechtsextremisten gegründet wurden. 

Rechtsextremistische Narrative

Ideologisch bündeln die meisten Kanäle muslimfeindliche, antisemitische Akteur*innen und Neonazis. Identitäre Gruppen haben dabei offenbar die größte Reichweite. Die Ablehnung von Einwanderung und Geflüchteten ist, wenig überraschend, eines des Hauptthemen. Ganze 92 Kanäle unterstützen offen den Nationalsozialismus. 

Die AfD ist gegenwärtig wenig aktiv

Die AfD hat derzeit eine überschaubare und eher inaktive Präsenz, insbesondere auf dem russischen sozialen Netzwerk VK. Die Hauptseite der AfD ist seit 2015 nicht mehr aktiv. Die größte, bis vor kurzem noch aktive Gruppe, hat 414 Follower. Jedoch müssen die Ergebnisse mit Vorsicht betrachtet werden. Es liegen keinerlei Informationen darüber vor, ob AfD-Mitglieder inoffiziell mit anderen Accounts in diesen Netzwerken aktiv sind. Die niedrige Aktivität oder offiziellen AfD-Accounts sollte z.B. im Rahmen der bevorstehenden Bundestagswahl erneut überprüft werden.

Unterschiedliche Motive der Mitglieder

Auf der Grundlage nutzergenerierter Umfragen wurden Gründe für den Beitritt in diese rechtsextremen Communities ermittelt. Meinungsfreiheit und Ressentiments gegenüber Linken ist einer der Hauptgründe auf Gab. Hass gegenüber Minderheiten und der Wunsch nach Unterhaltung prägen die Mitglieder auf 4chan - grenzüberschreitender Humor bestimmt hier die Inhalte. In der Discord-Gruppe Reconquista Germanica streben Mitglieder zum einen nach politischer Veränderung. Zum anderen suchen sie Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

Die Konsequenzen von De-Platforming

Die Sperrung von Accounts rechtsextremer Gruppen auf den Mainstream-Plattformen führt nur in begrenztem Ausmaß zur Abwanderung auf alternative Plattformen (De-Platforming). Die Sperrung auf großen Plattformen mündet zwangsläufig in einer geringeren Reichweite, wenn die Gruppen auf alternative Plattformen ausweichen. 

“Sperrungen sind insgesamt also durchaus sinnvoll, müssen aber nachvollziehbar begründet sein. Man darf dabei die möglichen negativen Konsequenzen nicht übersehen. Denn Sperrungen können auch zu noch mehr Frustration und Verschwörungstheorien beitragen.”
Julia Ebner
Extremismusforscherin und Autorin der Studie

Gefahr der Online-Radikalisierung

Rechtsextreme Themen sind in alternativen Medien stärker vertreten als in den Mainstream-Medien, wobei in den Mainstream-Medien neben politischen Kategorien auch andere Themen wie Sport oder Kultur veröffentlicht werden. Ein direkter inhaltlicher Vergleich ist demnach schwierig. Es ist jedoch eine bekannte Taktik, dass rechtsextreme Narrative in den alternativen Kanälen entstehen und darüber hinaus verbreitet werden.

Die alternativen Plattformen sind also insofern gefährlich als dass sich hier Nutzer*innen  unkontrolliert radikalisieren können. Bedrohungsszenarien und demokratiefeindliche Narrative entstehen und werden gezielt in den Mainstream getragen.

Auch wenn sie nicht explizit zur Gewalt aufrufen, können sie mit ihren Inhalten zur Radikalisierung von Nutzern beitragen sowie zu extremistischen Gewalttaten und Terrorismus inspirieren. Das macht sie gefährlich.
Julia Ebner
Extremismusforscherin und Autorin der Studie

Bisher nur wenige Deradikalisierungsmaßnahmen im digitalen Raum

Größere Tech-Unternehmen haben bereits Erfahrungen zur Moderation rechtswidriger Inhalte und der Sperrung entsprechender Accounts gesammelt. Auch Organisationen wie Tech Against Terrorism unterstützen hier mit ihrer Arbeit. Mit dem gesammelten Wissen können kleine Plattformen unterstützt werden, sofern diese Rechtsextremismus ebenso als Problem wahrnehmen. So lautet eine Empfehlung der Autor*innen dieser Studie. 

Im Hinblick auf die vorliegenden Ergebnisse besteht jedoch eine der größten Herausforderungen bezüglich der Inhalte, die legal sind und nicht explizit zur Gewalt aufrufen, aber Radikalisierung fördern - sowohl auf Mainstream-, als auch auf alternativen Plattformen. Hier sind umfassende Kooperationen zwischen Politik, Tech-Plattformen, Medien, Zivilgesellschaft und Forschung notwendig.

“Neben dem Gesetzesgeber können auch zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivist*innen eine Rolle spielen, indem sie versuchen, durch kommunikative Ansätze, ob durch gezielte Interventionen in Diskussionsverläufe oder direkte Einzelgespräche mit radikalisierten Personen rechtsextreme Narrative zu unterminieren und öffentlich sichtbar eine Gegenstimme zu präsentieren.”
Jakob Guhl
Studienautor, Institute for Strategic Dialogue

Deradikalisierung in der Umsetzung

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Institute for Strategic Dialogue, die Amadeu Antonio Stiftung und das Violence Prevention Network leisten mit ihrer Arbeit wichtige Beiträge zur Deradikalisierungsforschung. Ebenso sammeln diese Einrichtungen praktische Erfahrungen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung. Für den digitalen Raum gibt es jedoch hier noch zu wenige praktische Maßnahmen. Das ISD empfiehlt beispielsweise “Ansätze wie das One-to-One-Messaging zwischen radikalisierten Personen und qualifizierten Interventionsanbietern sowie One-to-Many-Kommunikationsansätze”. Dabei kommt es auf die plattformspezifische Übersetzung an, denn jede Plattform unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Communities und deren Kultur. Pauschale Lösungen gibt es hier nicht. Wie sehen also solche Ansätze aus? MODUS – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung versteht sich als Innovationslabor und beschäftigt sich neben der Erforschung mit dem Testing praxistauglicher Prototypen in der Extremismusprävention und Deradikalisierung. Auch das ISD, die Amadeu Antonio Stiftung und andere haben Vorschläge. Diese Ansätze für Online-Interventionsprogramme müssen stärker gefördert und evaluiert werden.

Mit einem “Hack Day” zu praxistauglichen Prototypen

Wie können wir hier voneinander lernen? Welche Forschungslücken gibt es? Wir brauchen mehr Austausch zu Entwicklung, Testing und Evaluierung von Prototypen. Wie wäre es mit einem Revival unseres Hack Days mit genau diesem Fokus?

Hanna Gleiß auf dem Podium u.a. mit Gerd Billen zum Launch der Studie
Hanna Gleiß (Das NETTZ) auf dem Podium u.a. mit Staatssekretär Gerd Billen (BMJV) zum Launch der Studie  |  © Robert Bosch Stiftung / Anita Back

Das NETTZ lädt für zwei Tage Forschende, Deradikalisierungsexpert*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Pädagog*innen, Vertreter*innen von Tech-Plattformen, Entwickler*innen, Kommunikationsexpert*innen u.a. ein. Wir diskutieren Forschungsergebnisse, kreieren Lösungsansätze und bauen Prototypen vielversprechender Ideen. Wen brauchen wir dafür? Wer möchte mit dabei sein? Wenn ihr das lest, die Idee gut findet und mitmachen oder jemanden empfehlen wollt, dann schreibt uns an info@das-nettz.de.

Parlamentarisches Frühstück im Bundestag
Hanna Gleiß (Das NETTZ) und Susann Rüthrich (MdB, SPD) beim parlamentarischen Frühstück im Bundestag  |  © Das NETTZ

Wir brauchen Kollaboration

Zum Launch der Studie veranstalteten wir im Bundestag ein Parlamentarisches Frühstück unter der Schirmherrschaft von MdB Susann Rüthrich (Sprecherin der Arbeitsgruppe Strategien gegen Rechtsextremismus der SPD-Bundestagsfraktion). Vertreter*innen aus fünf Fraktionen, darunter mehrere MdBs, zeigten großes Interesse an den Studienergebnissen und bestätigten damit eine hohe politische Relevanz der Erkenntnisse. In den Räumen der Robert Bosch Stiftung führte Hanna Gleiß (Das NETTZ) die Diskussion am Abend fort: mit Staatssekretär Gerd Billen (BMJV), Konstantin von Notz (MdB, Grüne), Investigativjournalistin Lena Kampf und Extremismusforscherin Julia Ebner (ISD).

Podiumsdiskussion zum Launch der Studie "Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure"
Podiumsdiskussion mit Hanna Gleiß (Das NETTZ), Staatssekretär Gerd Billen (Bundesjustizministerium), Lena Kampf (Journalistin), Konstantin von Notz (MdB, Grüne), Julia Ebner (ISD) und Moderatorin Shelly Kupferberg (v.l.n.r.)  |  © Robert Bosch Stiftung / Anita Back

Das Magazin Menschen Machen Medien hat die Diskussion hier zusammengefasst. Eine große Herausforderung ist das Verhältnis von Meinungsfreiheit und dem Schutz von Minderheiten im öffentlichen Diskurs. Menschen, die sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen, wandern auf alternative Plattformen, wie die Studienergebnisse zeigen. Diese Plattformen mit unter zwei Millionen Nutzer*innen fallen bislang nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Eine Anpassung des Gesetzes müsste jedoch evidenzbasiert sein, so Staatssekretär Gerd Billen. Studien wie die vorliegende können dazu beitragen, auf politischer Ebene aktiver zu werden.

“Die jahrelange Konsequenzlosigkeit hat zum jetzigen Stand geführt. Die Haltung wie mit Tech-Plattformen umgegangen wird, muss sich verändern.”
Konstantin von Notz
MdB (Bündnis 90/Die Grünen)

Wir brauchen klare Regeln für illegale und gefährdende Inhalte, um Menschen zu schützen. Die effektivere Strafverfogung statt des Löschens von Inhalten wäre demnach eine weitere Maßnahme. Und wir brauchen eine Haltung, wie wir unseren öffentlichen Diskurs gestalten wollen, sodass auch kontroverse Meinungen einen Raum haben. Dabei dürfen Narrative, die in extremistischen Gruppen und Kanälen entstehen, nicht in den Mainstream gelangen. Hierbei spielen auch die Medien eine zentrale Rolle. Die Investigativjournalistin Lena Kampf kritisiert Überreaktionen der Medien zu Themen, die gezielt von Rechtsextremen in den öffentlichen Diskurs getragen werden. Diese erfolgreiche Manipulation der Berichterstattung könne verhindert werden.

Wurden die Studienergebnisse bei beiden Veranstaltungen äußerst interessiert aufgenommen, so müssen diese aus unserer Sicht noch viel intensiver besprochen und genutzt werden. In Bezug auf Online-Deradikalisierung brauchen wir dringend eine intensivere Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft. Wie gehen wir also weiter mit den Ergebnissen vor? Was passiert auf den unterschiedlichen Ebenen?

Das NETTZ lädt zur Diskussion der Studie ein

Um über die Ergebnisse der Studie und konkrete nächste Schritte zu diskutieren, laden wir euch ein:

  • am 27.02. ab 17:30 zu unserem monatlichen Stammtisch im Kreuzberger Café Madame. Anmelden könnt ihr euch unter info@das-nettz.de oder spontan kommen.
  • am 17.03. 10:30-12:00 zu unserem digitalen Stammtisch. Anmelden könnt ihr euch bis zum 16.03. unter info@das-nettz.de. Ihr erhaltet vorab von uns die Zugangsdaten.

Die Studie ist bisher auf Englisch und Deutsch erschienen. Eine deutsche Zusammenfassung gibt es hier.

Weiterführende Links:

Foto Nadine Brömme
Autor*in

Nadine Brömme

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin

zum Newsletter
Newsletter-icon

Du willst zum Thema "Hass im Netz"
auf dem Laufenden bleiben?

Dann abonniere unseren
DAS NETTZ-Newsletter.