Digital Peace Talks im Portrait: "Verständnis sichtbar machen"
“Diskutieren im Internet bringt doch nichts” - das wollte Iwan Ittermann ändern und entwickelte die Idee eines visuellen Tools, das zeigt, wer konstruktiv mit anderen Meinungen umgehen kann und wer nicht. Seit das von ihm gegründete +3 Magazin von der Süddeutschen Zeitung aufgekauft wurde, setzt er diese Vision in die Tat um.
Digital Peace - das klingt nach Ostermarsch im Internet. Habt ihr eure Wurzeln in der Friedensbewegung?
Ich finde es schade, dass der Begriff “Frieden” heute aus der Mode gekommen zu sein scheint. Dabei ist das Konzept wichtiger denn je. Digitaler Frieden bedeutet ja viel mehr als nur die Abwesenheit von Digitaler Gewalt. Für mich bedeutet es, dass jeder Mensch eine Vision der Zukunft hat, in der alle Menschen vorkommen. Dass alle allen das Recht auf Zukunft zugestehen, auch im Internet.
Wie bist du auf die Idee gekommen Digital Peace Talks zu gründen?
Wie viele Andere war ich anfangs begeistert von den Interaktionsmöglichkeiten im Netz. Ich glaube ich hab während meines Studiums so um die 1.000 Kommentare auf Youtube geschrieben. Damals sorgte das Drohen mit Gewalt noch für Erheiterung und Vermutungen zum Alter des Users. Es war auch ein anderes politisches Klima. Die Leute sahen sich nicht als gegenseitige Bedrohung.
Das ist heute anders, es geht um mehr. Sowohl im privaten Sinne: unsere Profile sind unser öffentliches Gesicht, als auch im gesellschaftlichen Sinne: in den sozialen Medien wird heute Politik gemacht.
Ich habe lange überlegt, wie eine faire Lösung für alle aussehen könnte. Erst habe ich viel über Logik nachgedacht und wie man die verpflichtend machen könnte. Das ging so in die Richtung formelles Argumentieren. Aber mir war immer klar, dass damit nur noch mehr Widerstände erzeugt werden würden. Wer soll denn entscheiden, was ein logisches Argument ist?
Irgendwann bin ich dann auf das Buch “Ich und Du” von Martin Buber gestoßen. Ich möchte mir keine Zusammenfassung dieses genialen Werks zumuten. Aber eine Kernaussage ist, dass ein Verständnis der Wörter ICH und DU nur durch Dialog, durch gegenseitige Wahrnehmung geschehen kann. Das war für mich der Durchbruch, weil es ja die Beziehungen waren, deren Qualität im Internet so schrecklich abgenommen hatte. Ich wollte mich nicht auf die Meinungen und deren Gültigkeit fokussieren, sondern auf die Beziehungen zwischen diesen.
Um diese Idee realisieren zu können habe ich meine Anteile an dem Zeitungsverlag, denn ich 2011 gegründet hatte, an die Süddeutsche Zeitung verkauft. Und seitdem arbeite ich an der Idee. Erst alleine, dann in Communities und jetzt mit einem Team von sechs Leuten.
Wie wollt ihr zeigen, wer für andere Meinungen offen ist und wer nicht? Entscheidet das ein Admin?
Nein, natürlich nicht. Wir wollen ein System, in dem alle Individuen die gleiche Macht besitzen. Ganz konkret fragen wir einfach beide Seiten, ob sie fanden, die andere Seite habe gut kommuniziert. Wir machen also die Qualität des Austauschs sichtbar, unabhängig von der tatsächlichen Meinung.
Indem ich also anderen Meinungen einen guten Austausch bestätige, legitimiere ich gleichzeitig meine eigene. Eine Art Judo-Ansatz also. Das Feedback von beiden stellen wir dann grafisch dar als farbige Linie zwischen den zwei Meinungen.
Wie kartografiert ihr denn Meinungen? Ist das nicht klassisches Schubladendenken?
Zuerst mal: noch sind wir nicht so weit. Wir werden im Oktober unsere erste Version veröffentlichen und diese zusammen mit dem Debate Club der Syrian Youth Assembly testen. Erst wenn die Anwender*innen uns bestätigen, dass die Features tatsächlich geeignet sind die Qualität eines Austauschs zu repräsentieren, beginnen wir mit dem Kartografieren.
Zum Thema Schubladen, kann ich dich beruhigen: eine sogenannte Klassifizierung soll der Algorithmus gerade nicht vornehmen. Er berechnet - und das ist eigentlich ein ganz schöner Begriff - die “Nachbarschaft” zwischen allen Äußerungen. Diese stellt er bildlich als Entfernung zwischen zwei Meinungen dar. Es gibt also keine Grenzen, wie bei einer Schublade, sondern Meinungen, die in einem Kreis verteilt dargestellt werden.
Wo steht ihr gerade? Was sind eure Herausforderungen?
Aktuell entwickeln wir ein nachhaltige Geschäftsmodell und bieten es Social Impact Investoren an. Wir gründen eine For Profit Firma, die einerseits eine öffentliche, für immer kostenlose Instanz der Digital Peace Talks betreibt. Andererseits bietet sie Organisationen und Unternehmen an, sichere und faire Dialoge, sozusagen nicht öffentliche Digital Peace Talks, zu hosten. Die Profite fließen größtenteils an die Non Profit Firma, mit einem Abschlag zum Auszahlen der Investor*innen.
Wie kann man sich bei Euch einbringen? Sucht ihr Unterstützung?
Aber gerne. Zum einen freuen wir uns über Freiwillige, die kleine Community-Tasks übernehmen, z.B. ein neues Feature testen, einen kleinen Artikel schreiben oder einfach die Idee verbreiten. Auf unserer Homepage www.digitalpeacetalks.com findest du einen entsprechenden Button.
Zum anderen freuen wir uns natürlich über jeden Beitrag zu unserem Open Source Code (GPLv3). Wir programmieren auf Node.Js, Babylon.Js und Websockets. Du findest uns unter Digital Peace Talks auf Github.
Hanna Gleiß
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin