Das NETTZ zum Netz-DG: Unsere Bilanz der ersten vier Monate
Das NetzDG „zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ adressiert Betreiber von Plattformen, die mehr als zwei Millionen Nutzer*innen haben. Sie müssen Hinweise auf strafbare Inhalte sehr schnell bearbeiten und gegebenenfalls löschen. Außerdem müssen die Internetgiganten ein transparentes, funktionierendes und immer erreichbares Verfahren entwickeln, damit die Nutzer*innen schnell und möglichst simpel Beschwerden einreichen können.
“Offensichtlich rechtswidrige” Inhalte müssen binnen max. 24 Stunden, nachdem sie gemeldet wurden, gelöscht werden. Bei Inhalten, die nicht strafrechtlich eindeutig sind und intensiver geprüft werden müssen, gilt eine Frist von max. sieben Tagen. In Ausnahmefällen sind auch längere Fristen möglich. Bei Nichteinhaltung hat sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz saftige Strafen überlegt: Es drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Doch die Bußgeldleitlinien liegen weiterhin nicht vor, was aus Sicht vieler für eine erfolgreiche Lobbyarbeit von Facebook und Google spricht.
Hintergrund des NetzDG ist der Folgende: Die Betreiber*innen der mächtigen Internet-Plattformen, allen voran Facebook, sind nach dem Telemediengesetz schon lange verpflichtet, alle ihnen gemeldeten rechtswidrigen Inhalte zu löschen. Problem: Es passierte zu wenig und zu langsam. Die Internet-Plattformen haben zudem eigene “Community-Standards”, die sogar recht weitgehend sind. Allerdings wurden auch diese in der Praxis zu wenig ernst genommen. Deshalb wurden die Rufe nach einer politischen Regulierung immer stärker. Durch das NetzDG sind die Unternehmen nun gezwungen, sich an deutsches Recht zu halten. Der Bundestag verabschiedete das NetzDG am 30.06.2017. Bis Ende 2017 galt eine Übergangsfrist. Seit Januar 2018 gilt das Gesetz nun vollumfänglich.
Die Politik im Zugzwang
Schade, dass es überhaupt so weit kommen musste und es immer mehr menschenverachtende Beiträge im Netz gibt. Jede(r) Hausbesitzer*in in Deutschland ist zum Beispiel verpflichtet, ein Hakenkreuz, welches auf das Eigentum geschmiert wurde, entfernen zu lassen. Dieses “Hausrecht” gilt analog auch im Internet. Doch die Umsetzung der bereits bestehenden Gesetze wurde nicht konsequent genug eingefordert.
Der Journalist Richard Gutjahr, der selbst einen massiven Shitstorm erlebte, fasst es so zusammen: “Gesetze gegen Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung gibt es schon lange, sie müssten nur endlich auch im Netz angewendet werden.” Er ergänzt: “Die aktuelle Debatte um das Netz-Durchsetzungsgesetz halte ich für verlogen. Nichts, was meine Peiniger mir und meiner Familie in den vergangenen 18 Monaten angetan haben, wäre auch ohne NetzDG erlaubt gewesen, online wie offline. Das eigentliche Problem sehe ich woanders: im Netz wird geltendes Recht einfach nicht schnell und konsequent genug angewandt. Bei meiner Odyssee durch die Institutionen hatte ich oft den Eindruck, jedes Knöllchen wird schärfer verfolgt, als der gezielte Rufmord einer Person im Netz.”
Das NetzDG allein und in der bestehenden Form reicht absolut nicht aus. Geltendes Recht muss im Internet auch auf anderen Ebenen konsequenter umgesetzt werden.
Löschen als Risiko für die Meinungsfreiheit?
Klar ist, dass das NetzDG gefundenes Fressen für Personen ist, die sich in den sozialen Medien austoben, als sei dies ein rechtsfreier Raum. Man muss nur #NetzDG im Suchfeld auf Twitter eingeben und bekommt innerhalb weniger Minuten einen sehr lebendigen Eindruck davon, wie rechtspopulistische Parteien das NetzDG beschuldigen, sie an freier Meinungsäußerung zu hindern. Schnell wurden Vorwürfe der “Zensur” laut. Und genau hier liegt ein fundamentales Problem. Denn tatsächlich wurden in Folge des Gesetzes auch legitime Meinungsäußerungen gelöscht, was nun wiederum für politisch fragwürdige Programme missbraucht wird.
Um gewissenhaft zu entscheiden, ob Inhalte “offensichtlich rechtswidrig” sind oder eben nicht, ist entsprechend Zeit nötig. Diese ist jedoch nicht vorgesehen, denn Zeit gleich Geld. In Firmen wie Arvato sollen im Auftrag für Facebook nicht juristisch ausgebildete Sachbearbeiter*innen diese schwierigen Abwägungen und Entscheidungen in kürzester Zeit treffen. Sehr vieles, was Content-Moderator*innen zu lesen und sehen bekommen, möchte man niemandem als Lektüre zumuten. Aber wenn schon Menschen - da Maschinen diese Abwägung ohnehin nicht leisten können - diese Arbeit machen, dann sollten sie bestmöglich juristisch ausgebildet und psychologisch begleitet sein. Die Verantwortung, darauf zu achten, dass rechtliche Grundlagen unserer Gesellschaft (on- und offline) eingehalten werden, darf nicht an irgendjemand als Auftragsarbeit abgegeben werden. Selbst erfahrene Anwälte und Anwältinnen wägen intensiv ab, ob etwas strafrechtlich relevant ist. Die Begleitumstände spielen hier eine entscheidende Rolle.
Gerade im Grenzbereich der Satire oder bei der Weiterleitung von Zitaten anderer kann sicherlich nicht in wenigen Minuten eine juristisch fundierte Abwägung stattfinden. Eines der prominentesten Beispiele der letzten Monaten waren Kommentare des Satiremagazins Titanic, dessen Account auf Twitter gesperrt wurde. Hier finden sich weitere Beispiele.
Die Amadeu Antonio Stiftung stellt fest: “Seit Inkrafttreten des Gesetzes zu Jahresbeginn bewahrheitet sich, dass die Netzwerkbetreiber*innen angesichts drohender Bußgelder vermehrt Beiträge löschen, die nicht eindeutig strafbar oder als Satire zu verstehen sind.” Das ist bei einem Gesetz, das zur Freiheit des öffentlichen Diskurses beitragen soll, natürlich äußerst problematisch. Allerdings gibt es auch sehr eindeutige Fälle, bei denen eine unverzügliche Löschung plausibel und auch juristisch korrekt ist.
Das No Hate Speech Movement ergänzt: “Das Gesetz konkretisiert zudem nicht, wie Nutzer*innen sich gegen eine ungerechtfertigte Löschung ihrer Inhalte wehren können. Daher befürchten wir, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland aufgrund des NetzDG eingeschränkt werden wird.”
Diese Problematik ist weiterhin nicht geklärt. Dazu konstatiert Netzpolitik.org: “Bisher sieht das Gesetz kein Wiederherstellungsrecht bei unrechtmäßig gelöschten Inhalten vor, was den Unternehmen breite Möglichkeit einräumt, nach eigenem Gutdünken vorzugehen.” Was passiert mit den Inhalten und wo lagern sie? Über ein sogenanntes “Put-Back-Verfahren”, also eine Regelung dazu, wie Kommentare wieder hergestellt werden können, wird aktuell diskutiert. Diese Möglichkeit sollte in das Gesetz mit aufgenommen werden.
Löschen erschwert die Strafverfolgung
Im NetzDG fehlt es bisher an einer Regulierung, wie mit diesen gelöschten Inhalten umzugehen ist. Dementsprechend kann das Löschen rechtswidriger Inhalte die Strafverfolgung erschweren. Bevor ein fragwürdiger Inhalt gemeldet oder angezeigt wird, sollte die betroffene Person unbedingt vorher einen eigenen Screenshot erstellen. Ohne dieses Beweismittel ist die Strafverfolgung enorm erschwert. Die Amadeu Antonio Stiftung konkretisiert: “Das erschwert den Rechtsschutz potentieller Opfer.”
Gefährdung für Opfer durch Auskunftsrechte
Das NetzDG räumt Betroffenen Auskunftsrechte ein. Sie können die Identität der Hater*innen erfahren und diese auch juristisch belangen. Das No Hate Speech Movement weist aber auf andere Gefahren hin: “Allerdings können dadurch auch Hater*innen und Stalker*innen an die persönlichen Daten ihrer Opfer gelangen, indem sie diese etwa unter dem Vorwand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bei den Diensteanbietern anfragen. Wir stimmen der Amadeu Antonio Stiftung zu: Diese Änderung schützt die Betroffenen nicht, sondern setzt sie einem noch größeren Risiko aus.”
Richard Gutjahr schreibt zu dieser Problematik: “Google schickte meinen Peinigern meine E-Mail- und Wohnadresse.”
Ein nationales Gesetz kann eine internationale Problematik nicht lösen
Hate Speech ist kein deutsches, sondern ein internationales Problem. Extremistische Gruppen und Individuen sind sehr gut international vernetzt. Demnach ist es illusorisch, ein nationales Gesetz könne hier sehr viel bewirken. Richard Gutjahr nennt folgende Einschränkung: “Das NetzDG gebietet nur die Sperrung für Nutzer in Deutschland. Die ganzen Hassvideos, die teilweise auf englisch übersetzt wurden, sind für das internationale Publikum nach wie vor sichtbar.” Viele Diskurse haben sich auf andere Plattformen verlagert, die weniger kontrolliert werden. Beispielsweise wurde Discord Anfang des Jahres häufiger genannt, sich hier rechtsexremistische Gruppen organisieren. Auch Gaming-Plattformen sollten mit einbezogen sein, sind es aber leider bisher nicht. Auch da greift das NetzDG zu kurz. Politik, Plattformbetreiber und Zivilgesellschaft müssen stärker auf internationaler Ebene zusammenarbeiten, um Lösungen zu entwickeln, die Digitalisierung auch auf einer ethischen Ebene steuern und gestalten.
Es gibt noch viele weitere Aspekte des NetzDG, die hier nicht alle aufgelistet und bewertet werden können. Eine Auswahl von ausführlichen Stellungnahmen verschiedener Akteur*innen (Reporter ohne Grenzen e.V., GesichtZeigen!, FSM e.V., jugendschutz.net u.v.w.) findet sich hier.
Bekämpfung von Hass(-kriminalität) ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Klar ist, dass auch im Internet Recht und Gesetz eingehalten werden muss, und dies passiert bisher viel zu wenig. Der Kampf gegen Hass und Hetze im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder gesellschaftliche Teilbereich und auch jedes Bundesministerium kann seinen Beitrag leisten. Deutschland benötigt mehr gut ausgebildete Polizeikräfte und Mitarbeiter*innen an Gerichten, die auf das Thema Hassrede spezialisiert und angemessen ausgestattet sind. Und das nicht nur in manchen, sondern in allen Bundesländern. Engagierte Personen und Organisationen für ein respektvolles Miteinander und die Stärkung unserer Demokratie benötigen langfristige (auch finanzielle) Unterstützung und Anerkennung. Wir sollten als ganze Gesellschaft mehr über unsere Werte diskutieren und darüber, wie es zu diesen Problemen überhaupt kommt.
Vieles, was abscheulich ist, ist überhaupt nicht strafbar. Dementsprechend kann das NetzDG ohnehin nur einen kleinen Teil des Problems anpacken. Auch werden viele Hater*innen, gerade auch durch das NetzDG, immer gerissener und zynischer in ihren Formulierungen. Wir benötigen mehr digitale Zivilcourage und positive Narrative für eine andere Form des Umgangs. Für Probleme wie “social bots” benötigen wir neue innovative technische Lösungen. Facebook-Chef Zuckerberg kündigte Künstliche Intelligenz (KI) für die Inhaltsmoderation an, aber das ist natürlich noch Zukunftsmusik. Und eventuell ist eine Verwendung von KI auch problematisch. Denn miit welchen Daten wird die KI gefüttert, wer kontrolliert das und wie transparent sind die Mechanismen?
Wir brauchen mehr Transparenz und die stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft
Wie geht es weiter? Den Plattform-Betreibern wurden neue Berichtspflichten über ihr Beschwerdemanagement auferlegt. Ende Juni 2018 müssten die ersten Berichte eintreffen. Bisher scheint nicht vorgesehen, dass transparent gemacht wird, ob zu Recht oder zu Unrecht gelöscht wurde. “Somit wird eine adäquate Prüfung bzw. Evaluation des Verfahrens verhindert.” Aber genau auf diese Transparenz sollten alle, die Einfluss haben, hinwirken.
Reporter ohne Grenzen betonen, dass das NetzDG “von Hektik und Wahlkampfrhetorik getrieben” war. Auch Fearless Democracy stellt fest: “Wir hätten uns bei diesem Thema deutlich mehr Responsivität gegenüber vielen verschiedenen Akteuren aus der Zivilgesellschaft gewünscht.” Es gab zwar vor Einführung des NetzDG eine “Taskforce” mit Vertreter*innen von Google, Facebook und auch aus zivilgesellschaftlichen Organisationen. Aber die Einführung des NetzDG kam dann selbst für diese Beteiligten recht überraschend.
Einige namhafte Jurist*innen halten das Gesetz für verfassungswidrig. Die politischen Karten wurden innerhalb der letzten Wochen neu gemischt. Die neue Bundesjustizministerin Katharina Barley gilt als Befürworterin für das NetzDG, also liegen die wichtigsten Baustellen in ihrem Haus wohl erstmal woanders. Trotzdem sind mindestens kleinere Änderungen zu erwarten. Die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung Dorothee Bär hat sich noch nicht dazu geäußert. Sollte es also zu einer Überarbeitung kommen, ist es höchste Zeit, die wichtigen Stimmen aus der Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen und die Problemlösungen größer zu denken. Und bis dahin alle Verstöße fleißig melden.
Hanna Gleiß
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin