Campact im Portrait: Kampagne “Hate Speech im Netz stoppen”
Das Interview führte Hanna Gleiß mit Anna-Lena von Hodenberg. Die gelernte Journalistin ist seit 2016 Campaignerin bei Campact und für Kampagnen gegen Rechtspopulismus und Extreme Rechte zuständig.
Was sind eure zentralen politischen Forderungen in vor den Landtagswahlen in Hessen?
Wir konzentrieren uns in unser Kampagne vor allem auf strafbare Formen von Hate Speech. Davon gibt es nämlich eine ganze Menge im Netz. Viele Äußerungen fallen unter Straftatbestände wie Beleidigung, Bedrohung oder Verleumdung und könnten saftige Strafen für die Täter*innen nach sich ziehen. In der Realität haben sie aber nichts zu befürchten. Denn nur wenige Opfer zeigen überhaupt an. In Hessen sind es laut unserer neuesten Umfrage nur 4%.
Die Gründe: Die Betroffenen wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, die Polizei nimmt sie nicht ernst oder die Zivilklagen für Schadensersatz bedeuten für sie ein zu hohes finanzielles Risiko. Für die Täter*innen heißt das, sie können einfach weiter hassen. Im schlimmsten Fall wird einer ihrer Hassposts gelöscht, sie können dann aber einfach einen neuen schreiben.
Diese Lücke machen sich vor allem rechte Netzwerke zunutze und organisieren regelrechte Hasskampagnen.
Und da setzen wir an: Wer Täter abschrecken will, muss Opfer stärken und konsequente Strafverfolgung betreiben. Deswegen fordern wir von der hessischen Landesregierung diese fünf Maßnahmen nach der Wahl auch konsequent umzusetzen:
1. Landesweite Opferberatungsstelle zu Hass im Netz
2. Beauftragte für Hate Speech im Netz auf jeder Polizeidienststelle in Hessen
3. Zentrale Ermittlungsstellen zu Hate Speech bei den Staatsanwaltschaften
4. Vereinfachte Klagemöglichkeiten
5. Schulungen für Lehrer*innen und Jugendliche im Umgang mit Hate Speech.
Was waren Eure Erfahrungen bei den Gesprächen mit politischen Entscheidungs-träger*innen in Hessen? Habt ihr mit Vertreter*innen aller politischer Parteien gesprochen?
Die wichtigste Erfahrung, die wir gemacht haben war, dass bei vielen Politiker*innen sich des Problems in seinem ganzen Ausmaß noch überhaupt nicht bewusst sind. Wir mussten also erstmal ganz viel Kontext liefern. Wir haben erklärt wie rechte Trollarmeen im Netz
funktionieren oder wie das mit den hochgepushten Hashtags bei Twitter läuft. Dann waren alle erstmal ziemlich schockiert. Aber wir hatten ein Problembewusstsein geschaffen. Allen war danach klar, dass etwas passiert muss. Das sehe ich auf jeden Fall als ersten Erfolg.
Bei unseren Maßnahmen haben die Parteien dann unterschiedliche Schwerpunkte gelegt. Für die Vertreterin der SPD war vor allem die schulische Bildung nötig, der Vertreter der
FDP fand eher eine Schwerpunkststaatsanwaltschaft wichtig.
Aber keine der Parteien hat sich bisher darauf festgelegt, unsere Maßnahmen nach der Wahl wirklich umzusetzen. Da sind wir jetzt dran und fragen die Maßnahmen nochmal konkret ab und wollen die Wähler*innen dann kurz vor der Wahl über die Ergebnisse informieren. Gesprochen haben wir übrigens mit allen Parteien im Landtag, außer der CDU, da Herr Bouffier uns leider seit Wochen immer wieder vertröstet.
Habt ihr auch in Bayern Gespräche mit politischen Entscheidungsträger*innen vor den Wahlen geführt?
Nein, wir haben uns bei der Kampagne nur auf Hessen konzentriert, um alle unsere Kräfte bündeln zu können. Außerdem war abzusehen, dass es bei der kontroversen Situation in Bayern schwer wäre, mit dem Thema überhaupt durchzudringen. Auch deswegen haben wir uns für Hessen entschieden.
Plant ihr Aktionen in allen weiteren Bundesländern vor den Landtagswahlen? Unterscheiden sich Eure Forderungen in den einzelnen Bundesländern?
Strafverfolgung und Opferschutz sind Kompetenzbereiche der Bundesländer so wie z.B. auch Bildung. Jedes einzelne Bundesland wird die Durchsetzung unserer Maßnahmen also beschließen müssen. Das scheint erstmal wie ein langer Weg. Den versuchen wir so gut wie möglich abzukürzen. Hessen war für uns so eine Art Testlauf. Wenn die neue Landesregierung unsere Maßnahmen durchsetzt, könnte Hessen Vorreiter und Vorbild für die anderen Ländern werden. Deswegen ist Hessen so wichtig.
Gleichzeitig gehen wir aber nach der Wahl noch einen Schritt weiter und werden die Kampagne bundesweit aufziehen. Wir wollen einen Appell mit unseren Forderungen an die Justizministerkonferenz richten. Die Maßnahmen bleiben gleich. Der Unterschied ist aber, dass sich uns dann auch Menschen aus ganz Deutschland anschließen und mit ihrer Unterschrift ihre/n Justizminister/in zum Handeln auffordern können.
Kann die Umsetzung Eurer Forderungen in allen Bundesländern den Hass stoppen, die der Titel Eurer Kampagne suggeriert?
Nein, den Hass komplett stoppen kann das nicht. Das schreiben wir auch so in unserer Kampagne. Aber wir können erstmal auf der juristischen Ebene bei vielen Täter*innen ein Unrechtsbewusstsein schaffen und ihnen zeigen: Dein Hass hat für Dich Konsequenzen.
Das Netz ist kein rechtsfreier Raum.
Und wir senden ein klares Signal an die Opfer: Ihr müsst Euch nicht einschüchtern lassen von dem Hass, sondern Ihr könnt Euch wehren. Dabei hilft Euch ein gut vorbereiteter Justiz- und Strafverfolgungsapparat statt Euch wie bisher zum Teil noch Steine in den Weg zu legen.
Die Kampagne sehen wir als Teil von vielen Maßnahmen und Strategien, die NGOs
mittlerweile gegen Hass im Netz angeschoben haben. Wir kümmern uns um diesen einen Aspekt - die strafrechtliche Komponente, weil wir glauben, dass wir als Organisation mit unserer Erfahrung hier den größtmöglichen Erfolg erzielen können.
Wir sind aber davon überzeugt, dass wir dem Hass langfristig nur mit einer Kombination von verschiedenen Strategien begegnen können. Dazu gehört konsequente Strafverfolgung genauso wie die Stärkung von Gegenrede wie es zum Beispiel #ichbinhier machen. Deswegen sind wir auch Partner. Jeder macht das, was er am besten kann und wir unterstützen uns gegenseitig dabei.
Wann ist die Kampagne für Euch erfolgreich?
Es ist schon jetzt ein echter Erfolg, dass wir es geschafft haben, in Hessen auf Landesebene Bewusstsein für das Problem zu schaffen. Aber wir wollen natürlich noch mehr. Wir arbeiten jetzt daran, dass unsere Maßnahmen nach den Koalitionsverhandlungen in Hessen umgesetzt werden, damit wir Schwung haben für die Fortsetzung der Kampagne bundesweit.
Auf welche Herausforderungen stoßt Ihr?
Bei Hass im Netz werden die Verantwortungen in der Politik immer von einem zum anderen geschoben. Wenn wir mit Bundespolitiker*innen sprechen, zeigen die auf die Länder und sagen (zu Recht), die seien für die Strafverfolgung verantwortlich. Wenn wir mit den Landespolitiker*innen sprechen, wird meist mit dem Finger auf die Bundespolitik gezeigt und gefordert, dass das NetzDG es richten soll. Beide Forderungen sind richtig. Aber das macht es manchmal für uns sehr mühselig.
Ihr habt eine große Erfahrung an Kampagnen zu unterschiedlichsten Themen, warum engagiert sich campact jetzt gegen Hassrede?
Wir kommen ja eigentlich traditionell eher aus dem Umweltbereich und machen Kampagnen gegen Glyphosat oder für den Kohleausstieg. Als aber letztes Jahr eine Partei in den Bundestag eingezogen ist, in deren Reihen rechte und rechtsextreme Funktionäre und Mitarbeiter*innen stehen, war für uns klar, dass wir auch unseren Teil gegen Rechts beitragen müssen.
Wir haben dann viel recherchiert und überlegt, wo es noch eine Leerstelle gibt und wo wir als Campact mit unseren Erfahrungen und Ressourcen am meisten ausrichten können. Dann sind wir auf die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen gestoßen, die zeigten wie rechte Netzwerke gezielt und massenhaft Hass im Netz verbreiten, um Meinungen und Menschen zu manipulieren. Wir glauben, dass das extrem gefährlich ist: für unsere Meinungsfreiheit und für unsere Demokratie. Und so kam es zur Kampagne.
Braucht ihr noch Unterstützung? Wie können Einzelne oder Initiativen bei Euch mitmachen?
Unsere Kampagne lebt von der Unterstützung der einzelnen Menschen. Unsere Forderungen haben nur Gewicht, wenn viele Menschen unseren Appell unterschreiben und sich an unseren Aktionen beteiligen. Das geht ganz einfach auf unserer Homepage und wir informieren dann regelmäßig darüber, wie es mit der Kampagne weitergeht und was für Aktionen geplant sind. Und wir freuen uns natürlich auch über neue Bündnispartner*nnen. Nur gemeinsam sind wir stark.
Möchtet Ihr sonst noch etwas loswerden?
Was für viele hier interessant sein könnte: Wir haben gerade die erste detaillierte und repräsentative Studie zu Hass im Netz vorgestellt. Sie wurde zwar nur hessenweit durchgeführt, man kann aber durchaus Rückschlüsse auf den Bundestrend ziehen.
Nur ein Ergebnis: 51% aller befragten Hessinnen und Hessen sagen, dass sie nicht mehr so oft ihre politische Meinung im Netz äußern aus Angst vor Hass und Hetze. Das zeigt: Wenige, die im Namen der Meinungsfreiheit hetzen, schränken in der Realität die Meinungsfreiheit der Mehrheit ein. Umso wichtiger jetzt zu handeln.
Hanna Gleiß
(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin