Portrait

Portrait Amadeu Antonio Stiftung auf „Das NETTZ“

Simone Rafael, Chefredakteurin
Simone Rafael, Chefredakteurin | www.belltower.news.jpg

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die Amadeu Antonio Stiftung hat überall in Deutschland bereits über 1.200 lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen demokratische Jugendkultur, Schule, Opferschutz und Opferhilfe, kommunale Netzwerke sowie Hilfsangebote für Aussteigerinnen und Aussteiger aus der Naziszene unterstützt. Im digitalen Bereich betreibt die Amadeu Antonio Stiftung seit 2002 das Informationsportal „Belltower.News – Netz für digitale Zivilgesellschaft“ (ehem. Netz-gegen-Nazis.de) und entwickelt seit 2010 im Projekt „debate//de:hate“ Strategien für eine starke digitale Zivilgesellschaft.

Wie und warum gibt es Belltower.News?

Was die Gründung von Belltower.News 2008 – damals noch als „Netz gegen Nazis“ - angeht: Es gab damals noch keine journalistische Website zum Thema Rechtsextremismus und auch nicht sehr viel Berichterstattung in anderen Medien -  und deshalb auch kein sehr ausgeprägtes Bewusstsein in der Gesellschaft, warum sich Menschen überhaupt mit diesem Thema beschäftigen sollten, die nicht von Rechtsextremismus betroffen sind. Aber jeden Tag gab es bundesweit gewalttätige Übergriffe, Bedrohungen und Abwertungen, darauf wollten wir hinweisen. Damit mehr Menschen aktiv für eine demokratische Zivilgesellschaft werden.

Um die Inhalte der Website breiter zu streuen, habe ich 2009 in Sozialen Netzwerken „Netz gegen Nazis“-Seiten eröffnet. Die erste Seite war bei „SchülerVZ“. Der erste Hasskommentar stand 10 Minuten nach Eröffnung der Seite auf der Pinnwand. In anderen Netzwerken war es ähnlich. Ich fing an, mich gezielt mit dem Thema Rechtsextremismus und Hassrede im Internet auseinanderzusetzen, stellte fest, dass es viel Hass gab – damals allerdings noch in eher nicht-öffentlichen Zusammenhängen, in bestimmten Communities oder per Direktnachricht. Und zugleich gab es engagierte Einzelkämpfer*innen dagegen, aber kaum Vernetzung, keine Strategie- oder Kampagnen-Entwicklung in der Zivilgesellschaft, in NGOS oder in den Social-Media-Unternehmen selbst -  und keine Hilfe für Betroffene, keine Prävention für Jugendliche, keine Aufmerksamkeit in der Politik. Da schrieb sich der Projektantrag für unser erstes Digitalprojekt „Debate//De:Hate“ praktisch von allein. Und so arbeiten wir seitdem daran, Menschen fit zu machen im Umgang mit Debattenkultur und Hassrede im Internet, versuchen sie anzuregen, Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein und versorgen Sie mit Argumenten, Tools und Wissen, damit sie kompetent und sicher agieren können.

Was empfindest du derzeit als wichtigste Herausforderung im Engagement gegen Hass im Netz?

Wie können wir Präventionsarbeit in Regelstrukturen wie Schulen einbringen? Wie bekommen wir ein Schulfach Internet, dass Jugendliche fit macht, in diesem gesellschaftlichen Raum vernünftig zu agieren und ihn zu gestalten?

Und bis dahin: Die Debattenkultur im Netz ist aktuell verroht und oft grenzwertig, nicht nur bei politischen Themen. Wie können wir wieder Respekt, Humor und Leichtigkeit in die Debatte bringen? Zugleich steigt der Zuspruch für Rechtspopulismus in Deutschland, was Menschen erschreckt und empört. Trotzdem greifen zu wenige ein, wenn Rassismus, Sexismus, Verschwörungstheorien in ihrer Timeline, also von Freunden und Bekannten, geäußert werden. Die schweigende demokratische Mehrheit im Internet zu aktivieren für Gleichwertigkeit und Minderheitenschutz, aber ohne Unsachlichkeit und mit Argumenten, bleibt eine große Aufgabe.

Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich schon lange für eine starke demokratische – auch digitale – Zivilgesellschaft ein. Seit wann bemerkt Ihr eine Veränderung der Debattenkultur im Netz?

Hassrede gab es im Internet schon immer, aber anfangs weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also Nazis unter sich, Männerrechtler unter sich, Islamfeinde unter sich in eigenen Foren oder Blogs – oder konkret in Direktkommunikation gegen Betroffene, etwa per E-Mail. Einziger Kanal in die Öffentlichkeit waren Kommentarspalten der Medien – wenn die nicht moderiert wurden, war der Hass auch da immer präsent. Dann kamen die Sozialen Netzwerke und ermöglichten eine leichte und unmoderierte Kommunikation mit vielen unbekannten Menschen. Das verstanden Rechtsextreme, Rassisten und Verschwörungsideologen gleich als große Chance. Denn das sind Menschen mit großem Sendungsbewusstsein, die ihre Hass-Ideologie ja gern wieder als gesellschaftliche Norm etablieren wollten. Um 2010 herum versuchte z.B. die NPD, „undercover“ in Netzwerken als „normale Nutzer“ zu agieren – und dabei Rassismus und Islamfeindlichkeit zu verbreiten. Auch weil offener Rechtsextremismus in der Netzwerken schnell erkannt und oft gelöscht wurde, wurden die Darstellungen und Mittel mit der Zeit subtiler. Also keine Hitler-Verehrung und Wiedereinfühung des Nationalsozialismus, aber Abwertungen, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, die in der Netzcommunity erschreckend viel Zuspruch bekommen. Mit dem Aufkommen von „Pegida“ und der AfD 2013/14 und dem gestiegenen Zuzug von Geflüchteten ab 2015 verbreitete sich in der inzwischen gut und genreübergreifend vernetzten Rechtsaußen-Blase das Gefühl, sehr viele zu sein und Hemmungen fallen lassen zu können. Folge war die offene Hassrede auf allen Social-Media-Kanälen, die niemand mehr übersehen konnte. Sie traf auf eine Netzgesellschaft, die größtenteils nicht darauf vorbereitet war, dass Menschen die Freiheit im Internet gezielt für Hass und Demokratiefeindlichkeit nutzen würden. Und dass dagegen nur hilft, eine Haltung zu entwickeln, wen man unterstützen will – die angegriffene Minderheiten und Menschen, die die Hater zu Feinden erklären, oder die rechts-außen positionierten Modernitätsverweigerer und Neonazis selbst.

Ehemals “Netz gegen Nazis”, nennt Ihr Euren Internet-Watchblog heute “Belltower.News”. Was ist neu? Warum war die Neuausrichtung nötig?

Der Name „Netz gegen Nazis“ wurde zu eng – problematisch für unsere Gesellschaft sind ja nicht nur Neonazis, sondern auch die Rassisten, Sexisten oder Islamfeinde, die in bürgerlichem oder jugendkulturellem oder vermeintlich journalistischem Gewand daher kommen. Antisemitismus gibt es nicht nur in rechtsextremen und verschwörungsideologischen, sondern auch in islamistischen Kreisen.  Deshalb ein neuer Name, der ermöglicht, über all das zu schreiben, was unserer Meinung nach den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährdet, um gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie es besser geht. Neu ist auch der „Debatten“-Teil, wo es eben Fragen der Strategie, Argumentation und Überzeugung geht.

Mit debate//de:hate schafft Ihr ein Angebot, das eine digitale und eine analoge Dimension hat. Warum ist die Verbindung von online und offline im Bereich Hate Speech so wichtig?

Offline – also in Workshops, Seminaren oder ähnlichem – können wir Menschen fit machen, damit sie online besser agieren können. Da ist dann auch Zeit für Fragen und Austausch, das ist auch wichtig. Und auch bei Gruppen, die sich online zusammengefunden haben, wächst der Zusammenhalt, wenn die Mitglieder sich auch einmal im realen Leben sehen. Solche Vernetzung zu ermöglichen ist immer wichtig.

Die Stiftung ist bereits mit vielen Initiativen und Projekten deutschlandweit vernetzt. Was braucht es noch an Initiativen, um Hate Speech wirksam entgegenzutreten?

Arbeit gegen Hate Speech heißt für mich: Jeder Form von Abwertung entgegentreten, sich positionieren, jeden Tag, immer wieder, auch wenn Hass als „Humor“ verpackt wird, auch wenn es angeblich „nicht so gemeint ist“. Das heißt, wir brauchen eigentlich alle Menschen ☺ Und viele verschieden Menschen brauchen viele verschieden Ansprachen, um zu verstehen: Ja, das kann ich. Auf meine ganz persönliche Art. Mit Humor, mit Argumenten, mit Haltung, im Internet und außerhalb auch. Da lässt sich also noch ganz viel erdenken, Kanäle, Formate, Formen, für viele Zielgruppen.

Durch die Zusammenarbeit in der "Task Force gegen Hassinhalte im Internet" von Bundesjustizminister Heiko Maas fand Eure Arbeit gegen Hate Speech in der Politik Gehör. Was ist Eure Forderung gegenüber der Politik?

Von der Politik wünschen wir uns: Dauerhafte Unterstützung von Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, denn die muss in den Köpfen hinter den Computern passieren. Ein Schulfach Internet / Medienkomptenz /Debattenkultur wäre auch sinnvoll. Bildung von Schwerpunkt-Polizeidienststellen und Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur besseren strafrechtlichen Verfolgung von Hassrede – dass passiert inzwischen in einigen Bundesländern, aber bei weitem noch nicht in allen. Politiker und Politikerinnen, die offen und konsequent Haltung zeigen gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Welchen Beitrag kann Vernetzung im Umgang mit Hate Speech leisten?

Gegen Hate Speech gemeinsam mit anderen, Gleichgesinnten zu arbeiten ist effektiver – z.B. wenn eine ganze Gruppe von Leuten ein Hassposting meldet, wird es eher bearbeitet, als wenn nur eine*r es meldet. Wenn sich zehn Leute argumentativ gegen eine rassistische Beleidigung in einer Kommentarspalte wenden, können sie das Klima der Diskussion dauerhafter verändern, als wenn es nur eine*r tut. Außerdem macht das gemeinsame Engagement mehr Spaß, der Informationsaustausch geht schneller. Dazu kommt eine Entlastungsfunktion, über die zum Teil auf Dauer sehr belastenden Hasskommentare mit Menschen sprechen zu können, die ähnliches erleben.

Wenn Ihr Euch ein Tool gegen Hassrede im Netz wünschen könntest, welches wäre das?

Tools funktionieren gegen Hassrede eher schlecht – die Hater*innen erkennen schnell, wenn z.B. Worte elektronisch gefiltert werden, und benutzen dann neue Chiffren (etwa die „Fachkräfte“ statt „Asylanten“, wenn gemeint ist: Geflüchtete, denen unterstellt wird, per se ungebildet zu sein). Wir wünschen uns also nicht Tools, sondern Menschen: Gut ausgebildete Moderatoren-Teams in den Sozialen Netzwerken, die die Meldungen kompetent bearbeiten, gute Social Media Manager für Medien und Unternehmen, engagierte Nutzer*innen, die Hassrede widersprechen.

Das Interview führte Das NETTZ mit Simone Raphael, Chefredakteurin von Belltower.news

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