Veranstaltung

Das NETTZ im Gespräch: Wie können wir demokratische Werte sichtbarer machen als Hass und Hetze?

„Sprache, Werte, Narrative“ sind die Schlagworte, die uns immer wieder begegnen. Wir beobachten die organisierte Verbreitung von Hass in digitalen Kanälen. Als Konsequenz verschiebt sich der öffentliche Diskurs. Diskriminierende Sprache wird unreflektiert in den Medien sowie von breiten Teilen der Bevölkerung verwendet. Damit verbundene Argumente bestimmen die politische Debatte. Extremisten gelingt eine breite Mobilisierung. Wir als Zivilgesellschaft schaffen das mit unseren Narrativen nur begrenzt. Warum ist das so? Wofür wollen wir uns gemeinsam einsetzen? Was müssen wir dafür tun? Wichtige Fragen für eine gemeinsame Diskussion. Auf unserem diesjährigen Community Event luden wir deswegen zum interaktiven Diskussionsformat einer Fishbowl ein.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, diskutierten wir am 14.09.18 mit Paulina Fröhlich (Kleiner Fünf, Progressives Zentrum), Renate Künast (MdB, Die Grünen), Anatol Stefanowitsch (Sprachwissenschaftler, Professor FU Berlin) und Mathias Richel (Politik-Blogger, Mitgründer der Agentur Richel, Stauss). In der Diskussion kamen nicht nur sie, sondern auch das Publikum zu Wort. Unsere zentrale Frage lautete: Wie schaffen wir es, demokratische Werte sichtbarer zu machen als Hass und Hetze?

Meinungen aus dem Publikum im Austausch zu "Sprache, Werte, Narrative"
Meinungen aus dem Publikum im Austausch zu "Sprache, Werte, Narrative"  |  © Jörg Farys / Die Projektoren

Statt Themen zu setzen, bilden wir Fronten und verlieren den Respekt

Die Verrohung der Sprache beobachten wir auf sozialen Netzwerken, in den Medien, ja sogar im Bundestag. Rhetorische Mittel, derer sich die AfD und ihr zugewandte Gruppierungen bedienen, setzen auf Emotionalität. Seien es Gaulands “Vogelschiss der Geschichte” oder Begriffe wie “Asyltourismus”. Durch Provokation gelingt es ihnen, diese Sprache in mediale Debatten zu schleusen. Die Öffentlichkeit empört sich darüber - zu Recht. Oder auch nicht? Wie ziehen wir Grenzen, ohne uns selbst auf eine respektlose Ebene zu begeben? Wieviel Emotion ist im öffentlichen Diskurs angemessen? Martin Schulz bezog sich in einer Kurzintervention Anfang September auf eine Rede Gaulands aus dem Juni 2018 und rief damit alle Demokrat*innen dazu auf, sich zu wehren. Am Ende des Kommentars äußerte er: "Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte." Für diesen Kommentar bekam Schulz Beifall, wurde aber auch scharf kritisiert. Renate Künast spricht in diesem Zusammenhang von einem “kapitalen Fehler” und fordert während unserer Diskussion, dass wir uns nicht auf die gleiche Ebene begeben dürfen.

Renate Künast über "Sprache, Werte, Narrative" beim Community Event 2018
Renate Künast, Mitglied des Deutschen Bundestages beim Community Event 2018  |  © Jörg Farys / Die Projektoren
"Respekt bringst Du nur jemandem bei, wenn Du selber Respekt vorlebst. Man darf sich nicht auf die gleiche Ebene begeben.”
Renate Künast
Mitglied des Deutschen Bundestages / Die Grünen

Dass selbst im Bundestag eine solche Rhetorik verwendet wird, zeigt, dass wir gesellschaftlich festgefahrene Fronten haben. Beleidigende Sprache ist ein Symptom. Wir wissen, dass Provokationen, wie sie rechtspopulistische Gruppierungen einbringen, keine Aufmerksamkeit verdienen. Dennoch gelingt es uns nicht - weder im Bundestag, noch in den Medien oder in den Kommentarspalten - proaktiv eigene Themen zu setzen. Statt der wirklich großen Herausforderungen reden wir also über die Wortwahl einer Minderheit.

“Man muss sich wieder mehr auf die Themen konzentrieren. Was man sagen darf und was nicht, wird sich lösen, wenn man sich sachlich den Themen widmet, diese in den Vordergrund rückt und es auch schafft, die Medien von den Themen zu überzeugen. Wie kriegt man den Diskurs wieder dahin, dass sich nicht fünf Redner über den Begriff aufregen, sondern über die Themen reden, die die Bürger in ihrem Leben, ihrem Alltag beschäftigen?”
Stimme aus dem Publikum
Teilnehmende Community Event 2018

Ein klares JA für Emotionen - Aber bitte bei den richtigen Themen

Emotionale Antworten sind kurzfristige Reaktionen, die durchaus ihre Berechtigung haben. Wir brauchen Emotionen, um für Themen einzustehen, die uns bewegen - seien es die Bedingungen in Kitas, Rente oder andere soziale Themen. Emotionen mobilisieren. Sie sind in uns und müssen raus - aber nicht als Antworten auf die Aussagen rechtsgesinnter menschenfeindlicher Akteur*innen. Wir müssen sie mit unseren eigenen Themen verknüpfen. Wie können wir emotional sein, ohne respektlos zu sein?

Paulina Fröhlich diskutiert beim Community Event von Das NETTZ über "Sprache, Werte, Narrative"
Paulina Fröhlich diskutiert beim Community Event 2018 über "Sprache, Werte, Narrative"  |  © Jörg Farys / Die Projektoren
“Ich möchte nicht ständig auf der Suche nach unseren gemeinsamen Werten sein, denn wir haben sie und wir können auch emotional sein und die Themen auf den Tisch legen.”
Paulina Fröhlich
Das Progressive Zentrum / Kleiner Fünf

Wir haben Werte und wir müssen sie feiern

Werte bilden das Fundament unserer Gesellschaft und können in Zeiten politischer Instabilität Orientierung geben. Leider funktioniert das gegenwärtig nicht gut. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind im Grundgesetz verankert. Doch kommt dieses eher als “theoretisches Konstrukt” (Renate Künast) daher. In der Form wird es den Emotionen, die unsere gegenwärtigen Debatten bestimmen nicht gerecht. Es scheint oft eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass unsere Gesellschaft auf diesen Werten fußt. Dabei ist es unsere Aufgabe, Werte, die uns wichtig sind, neu zu interpretieren, sie emotional aufzuladen. Wir könnten mit den Werten, die wir leben wunderbare Geschichten erzählen. Das passiert viel zu selten.

"Warum machen wir nicht Verantwortung zum demokratischen Narrativ? Verantwortung ist einer der größten und tollsten demokratischen Werte, die wir haben. Dann lasst uns das feiern!“
Paulina Fröhlich
Das Progressive Zentrum / Kleiner Fünf

Rechtsgesinnte politische Gruppierungen skizzieren durch ihre Sprache und Handeln eine Gesellschaft, in der demokratische Werte keine Rolle mehr spielen. Denkt man diese Szenarien weiter, müsste uns allen klar werden, wie unsere Gesellschaft sich ohne dieses Wertesystem verändern würde. Umso mehr müssen wir dem ein Gegengewicht bieten, indem wir uns auf gemeinsame Werte berufen, die wir genau jetzt sichtbar machen.

Anatol Stefanowitsch spricht beim Community Event 2018 über "Sprache, Werte, Narrative"
Anatol Stefanowitsch beim Community Event 2018  |  © Jörg Farys / Die Projektoren
„Wenn es in Deutschland einen gemeinsamen Wert gibt oder einen Wert, auf dem unser Land begründet war, dann ist das die Abkehr vom Faschismus und die Erkenntnis, dass das nicht nochmal passieren darf.“
Anatol Stefanowitsch
Sprachwissenschaftler

Aus #Wirsindmehr ist nach den Ereignissen in Chemnitz der Beginn einer Bewegung geworden, deren Basis die Abwendung vom Faschismus ist. Noch immer teilen zahlreiche Menschen auf Social Media Kanälen ihre Interpretationen von #Wirsindmehr. #Unteilbar im Oktober schloss sich dem inhaltlich an. Für “Solidarität statt Ausgrenzung” zogen 242.000 Menschen auf die Straße. Beides sind starke Beispiele dafür, dass Mobilisierung auf der Basis demokratischer Werte im großen Stil möglich ist.

Auf der Suche nach Narrativen

Durch #Wirsindmehr und #Unteilbar entstehen individuelle Geschichten. Viele identifizieren sich mit den Inhalten dieser Bewegungen. Aber es gelingt uns noch nicht gut genug, diese weiter zu tragen - in die Politik, in die Wirtschaft und die breite Gesellschaft. Diese kurzen Momente, in denen die Mehrheit unserer Gesellschaft lauter und sichtbarer ist als eine kleine Minderheit, müssen wir nutzen, um weiter zu machen. Wir diskutierten in unserer Runde über das Narrativ, das uns als Gesellschaft verbindet. In einer pluralistischen Gesellschaft erscheint die Einigung auf eine gemeinsame starke Erzählung schwierig.

“Eigentlich haben wir kein Narrativ. Demokratische pluralistische Gesellschaft heißt, dass jede/r machen kann, was er/sie will und dass man sich eben keinem Narrativ unterordnet, außer eben diesem der persönlichen und individuellen Freiheit (...).”
Anatol Stefanowitsch
Sprachwissenschaftler

Vielleicht aber auch nicht. Wir können viel darüber diskutieren, was beispielsweise an #Wirsindmehr oder #Unteilbar noch nicht ganz passte, wir können aber auch die freigesetzte Energie und das Bedürfnis nach klarer Haltung nutzen, um sichtbarer zu werden.

Mathias Richel / Kommunikationsexperte und Politik-Blogger
Mathias Richel / Kommunikationsexperte und Politik-Blogger  |  © Jörg Farys / Die Projektoren
“#Wirsindmehr ist ein super Narrativ. Wir könnten es an jede Bundestagsrede dranhängen, wir könnten es an jeden Tweet ranhängen. Überall könnten wir sagen #Wirsindmehr, aber was machen wir? Wir machen es kaputt und reden nicht mehr darüber. Und wenn die einzige Einigkeit ist ‘Wir sind gegen Nazis’, dann kann ich mich darauf verständigen und in dieser Gesellschaft sagen: Ja, lass uns in dieser Mehrheit darüber identifizieren. Und diese Bereitschaft zur Identifizierung, die geht uns ab, weil wir nämlich in der ersten Reaktion sagen: Meinem pluralistischem Selbstverständnis entspricht das nicht. Ich glaube, es braucht Fronten, aber man muss sie anders definieren. Das ist keine Kriegsfront, sondern die Front der Entschlossenen.“
Mathias Richel
Gründer der Agentur Richel, Stauss / Politik-Blogger

Die Front der Entschlossenen

Wie geht es weiter? Möglicherweise haben wir hier schon einen neuen “Aufstand der Anständigen”, den wir aufrechterhalten und mit Inhalten füllen müssen. Das Bedürfnis, in diesen Zeiten Haltung zu zeigen, ist da. Politiker*innen tun es im Bundestag, zahlreiche Agenturen und Unternehmen organisierten im September Sonderurlaub, damit ihre Mitarbeiter*innen für #Wirsindmehr nach Chemnitz fahren konnten. Nach Siemens-Chef Joe Kaeser positionierte sich auch Telekom-Chef Timotheus Höttges öffentlich gegen Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft. Mittelständische Unternehmen wie Nomos Glashütte in Sachsen distanzieren sich klar von Rassismus und Fremdenhass. Neben den Toten Hosen, Kraftclub, Feine Sahne Fischfilet und anderen Bands gab auch Helene Fischer ein Statement, in dem sie sich in Anbetracht der Themen für gesellschaftlichen Zusammenhalt ausspricht. Herbert Grönemeyer, Carolin Emcke, Ferda Ataman, Kübra Gümüsay, Tarik Tesfu und noch viele andere bewegten uns mit ihren Reden zur Abschlusskundgebung der #Unteilbar-Demo am 14.10.18 in Berlin. Was all diese Menschen verbindet, ist ihre Entschlossenheit und die Bereitschaft für ein breiteres Bündnis.

Großdemo #Unteilbar am 13.10.18 in Berlin
Die Front der Entschlossenen: 242.000 Teilnehmende bei der #Unteilbar-Großdemo am 13.10.18  |  © Andi Weiland
“Es braucht eine Gegenbewegung nicht einzelner, sondern ein Bündnis aller, die hier ein Zeichen setzen wollen und die sich ihre Gesellschaft anders wünschen. Dieser Tage sehen wir, dass Politik in unser Leben stark eingreift; niemand kann mehr ernsthaft sagen: Das geht mich nichts an. Es gibt eine kollektive Verantwortung, es ist Bürgerpflicht – wir alle müssen den Anfängen wehren.”
Judith Borowski
Markenchefin von Nomos / W&V-Interview vom 31.08.18

Demokratische Werte werden langsam wieder sichtbarer als Hass und Hetze. Mit #Wirsindmehr und #Unteilbar wurde deutlich, dass auch die Abkehr vom Faschismus als gesellschaftliche Einigkeit Mobilisierungspotenzial hat. Jedoch konzentriert sich die Aufmerksamkeit noch auf wenige Momente. Was folgen muss, sind Handlungen auf allen Ebenen. Deswegen ist unser Appell: Lasst uns die freigesetzte Energie nutzen, um öffentlich Haltung zu zeigen! Nur so können wir Rassismus nachhaltig bekämpfen. Auch wir wollen uns einem solchen Bündnis anschließen.

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